Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
in ihrem Mund ausbreitete. Irgendwie schien ein Schleier vor ihren Augen zu liegen - durch den Dunst betrachtet, wirkte Will wie eine Erscheinung aus einem Traum. »Was machen deine Verletzungen? Hast du große Schmerzen?«, fragte sie.
Will schüttelte den Kopf. »Nachdem alle Metallsplitter entfernt waren, konnte Bruder Enoch mich mit einer Iratze versehen«, erzählte er. »Die Wunden sind zwar noch nicht vollständig verheilt, aber das wird nicht mehr lange dauern. Morgen dürften davon nur noch Narben zu sehen sein.«
»Ich beneide dich.« Tessa nahm einen weiteren Schluck Kräutertee. Allmählich stieg ihr das Getränk zu Kopf und bereitete ihr ein leichtes Schwindelgefühl. Vorsichtig berührte sie den Verband an ihrer Stirn. »Ich glaube, das wird noch eine ganze Weile dauern, bevor der abgenommen werden kann.«
»In der Zwischenzeit kannst du dich ja an deiner Piratenbraut-Erscheinung erfreuen.«
Tessa lachte, doch es klang leicht zittrig. Will war ihr so nahe, dass sie die Flitze spüren konnte, die von seinem Körper abstrahlte. Er glühte förmlich. »Hast du Fieber?«, fragte sie, noch ehe sie sich zurückhalten konnte.
»Die Iratze erhöht die Körpertemperatur. Das gehört zum Heilungsprozess.«
»Ich verstehe«, murmelte sie. Seine Nähe sandte kleine Schauer durch ihre Nervenenden, aber sie fühlte sich zu schwindlig, um von ihm abzurücken.
»Es tut mir leid ... das, was mit deinem Bruder passiert ist«, sagte er leise und sein warmer Atem streifte ihre Haare.
»Das kannst du nicht ernst meinen«, erwiderte Tessa bitter. »Ich weiß, du denkst, dass er dieses Schicksal verdient hat. Und vermutlich hat er das ja auch.«
»Meine Schwester ist vor vielen Jahren gestorben. Sie starb und es gab nichts, was ich dagegen hätte tun können«, sagte Will und aus seiner Stimme sprach tiefer Kummer. »Was mit deinem Bruder geschehen ist, tut mir aufrichtig leid.«
Tessa schaute zu Will auf. Seine Augen, groß und blau, das perfekt geformte Gesicht, die geschwungenen Konturen seiner Lippen, die besorgt herabgezogenen Mundwinkel. Ihretwegen besorgt. Plötzlich fühlte sich Tessas Haut heiß an und spannte, ihr war so leicht und schwindlig im Kopf, als würde sie schweben. »Will«, wisperte sie. »Will, mir ist so merkwürdig zumute.«
Will beugte sich vor, um die Tasse auf dem Nachttisch abzustellen, und streifte dabei Tessas Schulter. »Möchtest du, dass ich Charlotte hole?«
Doch Tessa schüttelte den Kopf. Sie träumte, dessen war sie sich jetzt ziemlich sicher. Denn sie empfand genau dasselbe Gefühl wie in ihrem Traum von Jessamine - es war, als ob sie sich gleichzeitig innerhalb und außerhalb ihres Körpers befand. Die Gewissheit, dass es sich um einen Traum handelte, ließ sie kühner werden. Will beugte sich noch immer leicht vor, einen Arm zum Nachttisch ausgestreckt; vorsichtig lehnte Tessa sich an ihn, schmiegte den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Im nächsten Moment spürte sie, wie er überrascht zusammenzuckte.
»Oh, hab ich dir wehgetan?«, wisperte sie, da sie sich zu spät an seine Verletzungen erinnerte.
»Es ist mir egal«, erwiderte Will leidenschaftlich. »Es ist mir vollkommen egal.« Dann schlang er die Arme um sie und hielt sie fest.
Tessa nestelte ihre Wange in seine warme Halsbeuge, hörte das leise Echo seines Pulsschlags und roch seinen Duft - Blut, Schweiß, Seife und Magie. Das Gefühl war anders als auf dem Balkon, wo sie beide vor Verlangen gebrannt hatten. Will hielt sie behutsam, legte seine Wange auf ihre Haare. Er zitterte, selbst als sich seine Brust hob und senkte, selbst als er zögernd einen Finger unter ihr Kinn schob und ihr Gesicht anhob ...
»Will«, murmelte Tessa. »Ist schon in Ordnung. Es spielt keine Rolle, was du tust. Denn wir beide träumen.«
»Tess?« Will klang beunruhigt und seine Arme schlossen sich fester um sie.
Tessa fühlte sich warm und geborgen und schwindlig. Wenn Will doch nur immer so wäre und nicht bloß in ihren Träumen, dachte sie träge. Das Bett unter ihr schwankte wie ein Schiff auf hoher See. Tessa schloss die Augen und ließ sich von der Dunkelheit umfangen.
Die Nachtluft war kalt und der dichte Nebel schimmerte im Schein der Gaslaternen gelblich grün, während Will die King’s Road entlangging. Die Adresse, die Magnus ihm gegeben hatte, befand sich auf dem Cheyne Walk, in der Nähe des Chelsea Embankment, und Will konnte bereits den vertrauten Geruch des Flusses wahrnehmen - diese Mischung aus
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