Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
wunderschön gehalten hatte, waren voller Liebe und Hoffnung.
Und warum sollte er auch nicht hoffen? Sie hatte ihm allen Grund zu der Annahme gegeben, dass sie ihn liebte: ihre Freundschaft, ihre Zuversicht, ihr Vertrauen, ihre Dankbarkeit und sogar ihre Leidenschaft. Und falls sie tief in ihrem Inneren noch immer eine winzige Hoffnung nährte, Will nicht aufgeben zu müssen, dann schuldete sie es sich selbst mindestens so sehr wie Jem, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um diese Hoffnung zu zerstören.
Sehr langsam beugte Tessa sich vor und nahm Jem den Anhänger vorsichtig aus der Hand. Er schmiegte sich mit seiner goldenen Kette wie von selbst an ihren Hals, kühl wie Wasser, und ruhte in ihrer Halskehle, direkt oberhalb ihres Klockwerk-Engels. Als Tessa die Kette im Nacken geschlossen hatte und die Hände wieder herunternahm, sah sie, wie Hoffnung in Jems Augen aufleuchtete und zu einem beinahe unerträglichen Strahlen ungläubigen Glücks anschwoll. Plötzlich hatte sie den Eindruck, als hätte jemand in ihre Brust gegriffen und ein Kästchen entriegelt, das ihr Herz umschloss - und ein unendliches Gefühl der Zärtlichkeit strömte wie frisches Blut durch ihre Adern. Nie zuvor hatte sie solch ein überwältigendes Bedürfnis verspürt, einen anderen Menschen zu beschützen, die Arme um ihn zu schlingen und sich ganz dicht an ihn zu kuscheln, allein und weit weg vom Rest der Welt.
»Dann lautet meine Antwort: Ja«, sagte sie. »Ja, ich will deine Frau werden James Carstairs. Ja.«
»Oh, Gott sei Dank«, stieß Jem hervor und atmete erleichtert auf. »Gott sei Dank.« Und dann begrub er sein Gesicht in ihrem Schoß und schlang die Arme um ihre Taille. Tessa beugte sich über ihn, streichelte seine Schultern, seinen Rücken, seine seidigen Haare. Sein Herz pochte wie wild an ihren Knien. Vor Verwunderung wurde Tessa ein wenig schwindlig: Sie hätte es niemals für möglich gehalten, dass sie die Fähigkeit besaß, einen anderen Menschen so glücklich zu machen. Und dabei ging es noch nicht einmal um eine magische Fähigkeit - sondern um eine rein menschliche.
Plötzlich klopfte es an der Tür und Jem und Tessa lösten sich hastig voneinander. Tessa erhob sich rasch und eilte zur Tür, wo sie kurz innehielt, um ihre Haare zu glätten - und, wie sie hoffte, ihre innere Aufregung ein wenig abklingen zu lassen.
Dieses Mal stand tatsächlich Sophie vor der Tür. Allerdings ließ ihre rebellische Miene darauf schließen, dass sie nicht aus eigenem Antrieb gekommen war. »Mrs Branwell bittet Sie, in den Salon zu kommen, Miss«, murmelte sie. »Der junge Herr Will ist zurück und Mrs Branwell möchte, dass alle zu einer Besprechung Zusammenkommen.« Als sie an Tessa vorbei ins Zimmer schaute, verfinsterte sich ihre Miene zusätzlich. »Das gilt auch für Sie, Mr Carstairs.«
»Sophie ...«, setzte Tessa an, aber das Mädchen hatte bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und eilte davon, wobei ihre weiße Haube im dunklen Flur hell auf und ab wippte. Tessa umklammerte den Türknauf und schaute ihr nach. Sophie hatte zwar gesagt, dass ihr Jems Gefühle für Tessa nichts ausmachen würden, und Tessa wusste nun auch, dass Gideon der Grund dafür war, aber trotzdem ...
Sie spürte, wie Jem hinter sie trat und seine Hand in ihre schob. Tessa schloss ihre Finger um seine und ließ den angehaltenen Atem aus ihren Lungen entweichen. War das damit gemeint, wenn man jemanden liebte? Dass jedes Leid ein geteiltes Leid war? Dass der andere einen allein durch ein Wort oder eine Berührung zu trösten vermochte? Nachdenklich ließ Tessa den Kopf an Jems Schulter sinken und er küsste ihre Schläfe.
»Wir werden es zuerst Charlotte mitteilen, sobald wir die Gelegenheit dazu haben«, sagte er, »und dann den anderen. Wenn das Schicksal des Instituts entschieden ist ...«
»Du klingst so, als würde dir das, was momentan mit dem Institut geschieht, nichts ausmachen«, wunderte Tessa sich. »Würde es dir denn nicht fehlen? Dieses Haus ist doch dein Zuhause.«
Jems Finger streichelten sanft über ihr Handgelenk und jagten ihr einen wohligen Schauer durch den Körper. »Wo du bist, ist von nun an mein Zuhause.«
19
WENN VERRAT VON ERFOLG GEKRÖNT IST
Verrat ist nie von Erfolg gekrönt.
Denn hätte Verrat Erfolg, käme niemand auf die Idee,
es länger Verrat zu nennen.
SIR JOHN HARRINGTON
Sophie schürte das knisternde Feuer im Kamin des Salons, bis der Raum richtig warm, fast schon stickig war. Charlotte saß an ihrem
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