Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Will auch schon an ihrer Seite, nachdem er aus der Kutsche gesprungen war und dabei eine Pfütze nur um Haaresbreite verfehlt hatte. Der Regen hatte aufgehört, Will warf einen prüfenden Blick zum Himmel hinauf und nahm dann Tessa am Arm. »Komm mit«, wisperte er und dirigierte sie zur Eingangstür des Instituts.
Tessa schaute sich rasch zu Charlotte um, die am Fuß der Treppe stand. Offenbar war es ihr gelungen, Gideon endlich in ein Gespräch zu verwickeln, denn sie gestikulierte angeregt mit den Händen. »Sollten wir nicht auf sie warten ...?«, setzte Tessa an.
Doch Will schüttelte entschieden den Kopf. »Charlotte wird eine halbe Ewigkeit auf ihn einreden ... welches Zimmer er gern haben möchte und wie dankbar sie für seine Unterstützung ist und so weiter und so fort. Aber das interessiert mich alles nicht - ich will unbedingt mit dir reden.«
Tessa starrte ihn verwundert an, während sie das Institut betraten. Will wollte mit ihr reden. Sicher, das hatte er auch schon vor dem Besuch bei den Lightwoods gesagt, aber es war trotzdem untypisch für ihn, seinen Wunsch so unverblümt zu äußern. Plötzlich kam Tessa ein Gedanke. Hatte Jem ihm von ihrer Verlobung erzählt? War Will vielleicht der Ansicht, sie sei es nicht wert, seinen Freund zu heiraten? Aber wann hatte Jem denn überhaupt Gelegenheit gehabt, mit ihm zu reden? Möglicherweise während sie sich umgekleidet hatte ... Andererseits wirkte Will gar nicht verärgert.
»Ich kann es kaum erwarten, Jem von unserem Treffen mit den Lightwoods zu berichten«, fuhr Will fort, während sie die Stufen hinaufstiegen. »Das glaubt er uns nie ... dass Gideon sich derart gegen seinen Vater gewendet hat! Es ist eine Sache, Sophie ein Geheimnis anzuvertrauen, aber etwas vollkommen anderes, der eigenen Familie den Gehorsam aufzusagen. Und dennoch hat er seinen Familienring einfach abgelegt.«
»Es ist so, wie du gesagt hast ...«, bemerkte Tessa, als sie das Ende der Treppe erreichten und dem Flur folgten. Wills Hand lag warm auf ihrem Arm. »Gideon ist in Sophie verliebt. Und für die Liebe würde ein Mensch alles tun.«
Will sah sie an, als hätten ihre Worte ihm einen Schock versetzt, und dann schenkte er ihr erneut ein Lächeln - dieses zum Verrücktwerden liebe Lächeln, mit dem er sie auch schon in der Kutsche bedacht hatte. »Einfach erstaunlich, nicht wahr?«, fragte er.
Tessa setzte zu einer Antwort an, aber inzwischen hatten sie den Salon erreicht. Der Raum war vom Schein der Elbenlichtkerzen hell erleuchtet und im Kamin brannte ein knisterndes Feuer. Zwischen den zurückgezogenen Vorhängen kam ein Stück bleigrauer Himmel zum Vorschein. Tessa nahm Hut und Handschuhe ab und legte sie gerade auf einen kleinen Mosaiktisch, als sie bemerkte, wie Will die Tür schloss und von innen den Riegel vorschob. Verwundert schaute Tessa ihn an. »Will, warum schließt du die Tür ...« Doch sie sollte keine Gelegenheit bekommen, ihren Satz zu beenden.
Denn mit zwei großen Schritten überbrückte Will den Abstand zwischen ihnen beiden und zog sie an sich. Überrascht schnappte Tessa nach Luft, als er sie an den Armen packte und sie rückwärts durch den Raum schob, bis sie fast mit der Wand kollidierte und ihre Tournüre protestierte.
»Will«, stieß sie erstaunt hervor, doch er drückte sie mit seinem Körper gegen die Wand. Seine Hände wanderten zu ihren Schultern hinauf, schoben sich in ihre feuchten Haare, während sich sein Mund abrupt und heiß auf ihre Lippen senkte. Tessa wurde schwindlig; sie taumelte und versank in seinem Kuss. Wills Lippen waren weich; sein Körper presste sich hart gegen ihren und er schmeckte nach Regen. Ein heißes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus, als sein Mund sie drängte, den Kuss zu erwidern.
Doch plötzlich blitzte Jems Gesicht vor Tessas innerem Auge auf. Im nächsten Moment drückte sie Will die Hände auf die Brust und schob ihn von sich, so fest sie nur konnte. Ihr Atem kehrte abrupt zurück und sie stieß nur einen einzigen, ungestümen Laut aus: »Nein!«
Überrascht wich Will einen Schritt zurück. Seine Stimme klang tief und heiser: »Aber was ist mit letzter Nacht? Im Krankensaal? Ich ... du hast mich umarmt ...«
Hab ich das tatsächlich? Schlagartig wurde Tessa bewusst, dass das, was sie für ein Hirngespinst gehalten hatte, keineswegs ein Traum gewesen war. Oder log er vielleicht? Nein - es bestand nicht die geringste Möglichkeit, dass er von ihrem Traum wissen konnte. »Ich ...«, stotterte sie
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