Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
Lauf gewährte. Insbesondere,
wenn es dabei um seinen Boss ging.
Er
war der Jüngste in der Gruppe und wurde ständig bevormundet. Eine eigenständige
Entscheidung zu treffen, war ihm nicht gestattet. Alles, was er tun wollte, musste
er von seinem Boss freigeben lassen. War dieser gerade nicht in der Nähe, so oblag
Aiden die Befehlsgewalt. Er war zwar etwas jünger als der Boss, aber dennoch
älter als die anderen. Für Anthony spielte dies aber keine Rolle. Aiden mochte
er auch nicht. Schon seit Jahren hatte er es satt, bevormundet, angeschrien und
schikaniert zu werden. Immer auf Befehl von einem Ort zum anderen zu reisen.
Bereit zu sein, wenn es erneute Anweisungen gab, und diese schlussendlich zu
befolgen.
Er
war ein Starrkopf, der schon lange selbst Befehle geben wollte. Doch das war
nur ein Traum. Er konnte sich das nicht erlauben.
Gegen
den Boss zu rebellieren und seine Autorität infrage zu stellen, war
gleichzusetzen mit Selbstmord. Genauso gut hätte er sich auch direkt aus dem
Fenster werfen können – die Wirkung wäre dieselbe gewesen.
Unterstützung
von den anderen konnte er nicht erwarten. Keiner hätte sich auf seine Seite
geschlagen, außer vielleicht seinem besten Freund, Jeremy. Mit ihm hatte er
sich von Beginn an gut verstanden. Das etwa gleiche Alter bestärkte ihre
Bindung zueinander.
Jeremy
war, wie man so schön sagen würde, jemand, mit dem man im wahrsten Sinne des
Wortes Pferde stehlen konnte. Und hätte ihnen Aiden nicht einst im letzten
Moment dazwischengefunkt, so hätten sie es auch einmal geschafft. Doch so blieb
der von ihnen ausgewählte Reiterhof verschont und die Tiere blieben in den Ställen.
Die
Altersdifferenz war sehr gering. Zwar war Anthony knapp drei Wochen jünger als
sein Freund, körperlich überlegen war er ihm aber allemal.
Schon
des Öfteren hatten sich die beiden in der einen oder anderen brenzligen
Situation befunden, doch sie konnten sich stets aufeinander verlassen. Jeder
wusste, dass er dem anderen vertrauen konnte und, wenn es darauf ankam, einer dem
anderen den Rücken freihielte – auch wenn dies bedeutete, sein Leben für
den anderen zu opfern. Manchmal kamen sie sich vor wie zwei Brüder, die
unterschiedliche Mütter hatten. Doch das störte sie nicht.
Dieses
Vertrauen hegte Anthony gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern ganz und gar
nicht. Im Gegenteil. Es herrschte eher eine unbeschreibliche Spannung zwischen
ihnen, und wüsste er es nicht besser, dann würde er behaupten, dass dies auf
Gegenseitigkeit beruhte.
Aber
am meisten hasste er den Boss. So nannten sie ihn, wenn sie unter sich waren.
Seinen wirklichen Namen kannten nur wenige, und außerdem war es Ewigkeiten her,
seit sie das letzte Mal ihre echten Namen verwendet hatten.
„Mein
Name ist Logan Grace – wir haben heute miteinander telefoniert“, hatte der
Boss dem Hoteldirektor gesagt, als sie vor wenigen Tagen eincheckten, und sanft
den Kater gestreichelt, der faul in seinen Armen lag. „Haben Sie die Suite für
uns vorbereitet?“
„Es
ist alles fertig. Alles so, wie Sie es gewünscht haben“, antwortete der fein gekleidete
Direktor und rückte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand die Brille mit
kleinen, runden Gläsern an seiner Nase hoch. Mit einer sanften, fast fließenden
Handbewegung nahm er die Schlüsselkarte aus dem verschlossenen Fach heraus und
reichte sie Logan. Die Karte sah schlicht und unbedeutend aus. Lediglich ein
dünner goldener Streifen verlief quer über sie und kennzeichnete sie als
besonders hochwertig.
Im
gleichen Moment erschienen drei Portiers neben den Besuchern und boten mit
einer Geste an, ihre Taschen nach oben zu bringen. Anstatt diese zu überreichen,
sahen die Männer die Portiers stumpf an und bewegten keinen Muskel. Von der
unüblichen Reaktion überrascht, starrten die Portiers den Direktor fragend an.
Da
sagte Logan: „Nicht nötig, meine Herren. Entspannen Sie sich, wir möchten Sie
mit unserem Gepäck nicht zusätzlich belasten. Die Burschen werden es schon
selber schaffen, die Taschen zum Lift zu tragen. Haben Sie herzlichen Dank.“ Er
holte aus der innen liegenden Brusttasche seines Sakkos ein Bündel Einhundert-Dollar-Scheine
heraus und übergab jedem von ihnen ein Exemplar. „Wir möchten ungestört bleiben,
aber ich denke, das muss ich nicht extra erwähnen.“ Fünf Scheine wanderten
geschickt in die Brusttasche des Direktors.
„Wenn
die Gentleman einen Wunsch haben, stehe ich Ihnen persönlich jederzeit
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