Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
fallen. Er musste sich unwillkürlich an den weit in der Vergangenheit
liegenden Versuch erinnern, als sie sich eines Abends aus purer Langeweile davongeschlichen
hatten, um ein Pferd zu stehlen. Für den Pferdebesitzer, einen armen Bauer,
wäre der Verlust seines einzigen Reittieres eine wahre Katastrophe gewesen.
Seit
diesem Vorhaben verspürte er des Öfteren das ihm noch recht unbekannte Gefühl
in seinem Herzen. Immer, wenn es darum ging, jemanden zu bestehlen, der es ohnehin
nicht leicht im Leben hatte, oder einem hilflosen Menschen etwas Schlimmes anzutun,
brannte und drückte es ihn – eine unbeschreibliche und unangenehme Empfindung.
Das
unbemerkte Einbrechen in ein Geschäft solcher Größe hätte jedem Amateurdieb die
Schweißperlen auf die Stirn getrieben. Für die beiden Freunde war es
mittlerweile die reinste Routine geworden.
Nachdem
Jeremy das verabredete Handzeichen gegeben hatte, ließ Anthony mit einer
sanften Bewegung die goldfarbene Türklinke nach unten gleiten und drückte die
Glastür nach innen.
„Herzlich
willkommen, die Herren“, flüsterte Anthony und machte den ersten Schritt nach
vorne. Vor ihnen erstreckte sich ein großer Empfangsbereich mit einem roten
Fußbodenteppich. Den betuchten Kunden wollte man eben auch schon am Eingang
etwas Außergewöhnliches bieten. In bestimmten, großzügigen Abständen befanden
sich die auf Hochglanz polierten Maschinen. Bei Sonnenlicht und den eingeschalteten
Scheinwerfern, die tagsüber in der Verkaufshalle kontinuierlich brannten,
funkelten die Motorräder wie polierte Diamanten. Dies übte eine starke Wirkung
auf die Kauflust der Kunden aus, die durch die Gier, etwas so Schönes zu
besitzen, genährt wurde.
Die
momentane Situation dämpfte die Entfaltung dieser zauberhaften Wirkung ab. Die
Dunkelheit schluckte den Glanz und gab lediglich die Umrisse der einzelnen
Maschinen preis.
Weder
für Jeremy noch für Anthony war dieser Schein von Bedeutung. Für sie zählten
nur die Fakten: die Anzahl der Pferdestärken und die Höchstgeschwindigkeit.
Die
geschulten Blicke schweiften über die Reihen der Motorräder. Für sie war weder
das Anfassen und Anfühlen der hier angebotenen Ware wichtig noch das
Probesitzen. Das überließen sie der zahlenden Kundschaft. Schon nach kurzer
Begutachtung fanden sie ihre eigenen Favoriten.
„Ich
nehme die Nummer zwölf“, meldete sich Jeremy als Erster zu Wort.
„Gute
Wahl, Bruder, schnelles Gefährt“, antwortete Anthony und klopfte seinem Freund
leicht auf die Schultern. „Dann wähle ich …“ – Anthony zögerte einen
kurzen Augenblick, um die Spannung vor der Enthüllung seiner Wahl weiter in die
Höhe zu treiben, und kaute mit nachdenklicher Mimik am Daumennagel seiner
rechten Hand – „… die Nummer fünfzehn!“ Er nahm den von seiner Zunge
etwas feuchten Daumen aus dem Mund zeigte nun mit dem Zeigefinger in Richtung
des gewählten Motorrads.
„Schickes
Design. Etwas anderes hätte ich von dir auch nicht erwartet“, antwortete Jeremy
und lächelte.
Auch
der abgeschlossene Safe, in dem sich die Zündschlüssel aller Motorräder
befanden, stellte kein großes Hindernis für die beiden dar. Binnen weniger
Minuten war die schwer gepanzerte Tür geöffnet, und die nummerierten
Schlüsselbänder wechselten die Besitzer.
Vorsichtig
rollten sie ihre Beute zur Tür, immer darauf bedacht, im Vorbeigehen keine
anderen Maschinen zu berühren. Eine solche Unvorsichtigkeit hätte sie in diesem
Augenblick sicherlich ihre zuvor geleistete Arbeit – unbemerkt in die
Verkaufshalle zu gelangen – kosten können. Das Umstürzen eines
metallischen Gerätes dieser Größenordnung wäre aller Wahrscheinlichkeit nach
nicht von den Passanten unbemerkt geblieben. Außerdem wussten sie immer noch
nicht mit Sicherheit, ob das Geschäft, das sie gerade überfallen hatten, nicht
vielleicht doch über einen Sicherheitsdienst verfügte.
„Verdammt!“
„Was
ist nun schon wieder los?“ Anthony, der sein gestohlenes Motorrad nun als
Zweiter hinter Jeremy rollte, hielt aufgeregt inne und starrte seinen Freund
fragend an.
„Weit
kommen wir mit den Dingern doch gar nicht“, antwortete Jeremy leise und schaute
auf den Sprittank.
Natürlich.
Jetzt fiel es auch Anthony wie Schuppen von den Augen. Sie hatten bei ihrer
Hals-über-Kopf-Aktion an fast alles gedacht, nur an die logischste Sache der
Welt nicht: Um ein neues Motorrad, das man sich ohne Erlaubnis des Händlers
unter den Nagel reißt,
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