Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
schon
wegen ihres hochnäsigen Auftretens würde ich mich vor ihnen hüten“, fügte
Aragon hinzu.
„Ich finde die
beiden ganz nett“, gab Marri zu und kicherte leise. „Auch wenn sie noch kein
Wort von sich gegeben haben.“
„Hört zu“, meldete
sich Elias endlich zu Wort. „Wir müssen jetzt los und uns für das Rugbytraining
vorbereiten. Wartet heute Nachmittag am Tor auf uns – unser Dad sollte
pünktlich da sein.“
Die beiden Mädchen
verabschiedeten sich von den Brüdern und machten sich ebenfalls auf den Weg.
Zunächst war Marri nicht begeistert von der Idee, Sydney Gesellschaft zu
leisten und den Dichter-
und Schriftstellerkursus zu besuchen, doch aus geschwisterlicher Solidarität
ließ sie sich trotzdem schnell überreden und schrieb sich ebenfalls für den
ihrer Meinung nach langweiligsten Unterricht ein.
Der
Teilnehmerkreis war sehr überschaubar, denn dieser Kurs erfreute sich nicht
allgemeiner Beliebtheit. Abgesehen von den beiden Mädchen nahmen auch der
Leiter der Schülerzeitung, Marion Smith, sowie mehrere andere, ebenfalls
weniger beliebte Schüler an den wöchentlichen Treffen teil. Umso erstaunter
waren alle, als sie einen Neuzugang in der Gruppe begrüßen konnten.
Besonders
für Sydney war die Begeisterung groß, als sie niemand anderen als Anthony in den
Raum eintreten sah.
Damit
die gemeinsame Besprechung von Geschichten und Gedichten angenehmer und vor
allem ungezwungener gestaltet werden konnte, waren alle Tische und Stühle in
Halbkreisform in der Mitte des Raumes aufgestellt. Anthony begrüßte niemanden,
warf seine Tasche auf den Parkettboden und setzte sich lässig auf einen der
freien Plätze.
Der
Rest der Gruppe starrte den Jungen gespannt an. Er dagegen blickte nur stumm zu
Boden und wippte dabei mit einem Bein. Hin und wieder warf er einen kurzen Seitenblick
zu den beiden Mädchen, wobei er mit seinen schönen Augen nur Sydney
fokussierte.
„Wer
hätte das gedacht!“, rief Mrs. Garden mit ihrer schrillen, aber zugleich
lustigen Stimme hinaus, als sie den Raum betrat und den unerwarteten Zuwachs
ihrer Kursteilnehmer bemerkte. „Üblicherweise hält sich die Anzahl der
Interessenten für die hohe Kunst des Dichtens und des Schreibens in Grenzen.
Und mit jeder neuen Woche lichtet sich stets der Kreis der Auserwählten
drastisch, aber dieses Jahr verspricht ein besonderes zu werden, wenn sogar
immer mehr Schüler den Weg in unsere Gemächer finden.“ Wie so oft redete Mrs.
Garden in einer sehr eigenartigen und für das Jahrhundert, in dem sie lebte,
untypischen Ausdrucksweise, doch niemand störte sich daran – im Gegenteil,
es war für alle mehr oder weniger angenehm, ihrer lustig klingenden Stimme
zuzuhören.
„Vielleicht
könnte der jüngste der Gruppe unserem neuen Mitglied die Ehre erweisen und sich
vorstellen.“ Marion Smith, der wohl unbeliebteste Schüler an der Jonathan’s
High, war der Erste, der den Mut hatte, seinen stillen Sitznachbarn direkt
anzusprechen, und zwar mit einem Unterton, der seine Stimme noch gehässiger
klingen ließ, als sie es ohnehin schon war. Alle um ihn herum hielten aufgeregt
den Atem an und warteten gespannt auf die Gegenreaktion.
Anthony
blieb von der dreisten Ansprache des schmächtigen Jungen sichtlich unberührt.
Langsam ließ er den Blick durch den Halbkreis gleiten und schaute dabei jeden
seiner Mitschüler einzeln an, würdigte Marion jedoch keines Blickes. Zum
Schluss blieb sein Blick regelrecht an Sydney kleben, und endlich bewegten sich
seine Lippen.
„Anthony.
Mein Name ist Anthony Grace“, sagte er mit einer tief klingenden Stimme, die
Sydney das Blut in den Adern gefrieren ließ. Doch gleichzeitig klang die Stimme
angenehm und hinterließ in ihren Ohren ein warmes Gefühl.
„Haha“,
eine raue Stimme meldete sich aus der Runde. „Das ist ja ein Scheißname, finde
ich. Was hatten deine Eltern eingeworfen, als sie diesen Namen für dich
aussuchten?“ Der Kommentar kam von Mike Petersen. Auch wenn Sydney wusste, dass
der Kerl mit den Winson-Brüdern befreundet war, hatte er sich bislang sowohl im
Unterricht als auch in den Pausen eher unauffällig im Hintergrund gehalten. Sydney
achtete wenig auf den tollpatschigen Burschen und wurde das Gefühl nicht los,
dass er nicht alle Tassen im Schrank hatte oder dass ihm zumindest einige davon
fehlten. Bereits nach dem Kennenlernen stellte sie sich des Öfteren die Frage,
weshalb Elias und Aragon sich so gut mit ihm verstanden, doch nun ging ihr ein
Licht auf.
Weitere Kostenlose Bücher