Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
Neuankömmlinge. Anthony
saß in der mittleren Reihe, zwei Sitze hinter ihr. Ihre Faszination für diesen Jungen
war unbeschreiblich. Beim Eintreten hatte sie den Jungen nur für einen kurzen
Moment ansehen können, bevor er sich gesetzt hatte. Sie verspürte das
unbeschreibliche Verlangen, erneut in sein schönes Gesicht zu blicken, doch
dies sollte so unauffällig wie nur möglich geschehen.
Sydney hatte ihre
Jacke über die Stuhllehne gehängt. Jetzt schob sie unauffällig ihre Hände
hinter den Rücken, griff den weichen Stoff ihres Ärmels und zog ihn vorsichtig
nach unten. Träge rutschte der Stoff die Lehne entlang, bis er schließlich –
zu Sydneys Freude – auf dem Boden landete.
Mrs. Tomson
registrierte zwar das Fallen der Jacke, aber nicht die eigentliche Absicht, die
dahintersteckte. Sydney erntete nur einen bösen Blick der Lehrerin – einen
der vielen, die Mrs. Tomson wie so oft nicht zurückhalten konnte.
Mit aufgesetzt
unschuldiger Miene schob Sydney ihren Stuhl nach hinten und stand vorsichtig
auf, um bloß kein Geräusch zu verursachen und Elias bei seinem Vortrag nicht zu
stören.
Beim Aufheben der
Jacke warf Sydney einen kurzen Blick nach hinten und erschrak, denn im gleichen
Augenblick sah auch Anthony zu ihr hinüber und blickte ihr tief in die Augen.
Ein warmer Schauer durchlief sie. Die warme Welle hatte ihren Ursprung an
Sydneys Haaransatz und endete in den Spitzen ihrer Zehen. Der Blick seiner
schönen dunklen Pupillen schien durch ihre Augen hindurch direkt in ihre Seele,
in ihr Herz zu blicken. Verlegen wandte sie schließlich als Erste ihren Blick
von dem hübschen Gesicht ab und setzte sich mit der Jacke in der Hand wieder
auf den Platz.
Geistesabwesend
starrte Sydney zur Tafel, wo Elias gerade die Aufgabe zu Ende rechnete. Mit
einer doppelten Unterstreichung hob er das Ergebnis hervor, legte die Kreide
zur Seite und ging zurück zu seinem Tisch. Argwöhnisch klatschte Mrs. Tomson in
die Hände und übergab Elias seinen rechtmäßigen Platz.
„Dieses Mal hast du
Glück gehabt! Beim nächsten Quatschen wirst du nicht so leicht davonkommen“,
sagte Mrs. Tomson im Vorbeigehen. Elias war von der Drohung sichtlich
unberührt, lächelte nur, als er sich Sydney näherte, und setzte sich
kommentarlos neben sie.
* * *
Alle Schüler waren
erleichtert, als sie den Gong hörten, der sowohl die von vielen verhasste
Mathestunde beendete als auch gleichzeitig die große Mittagspause ankündigte.
Es war
Mittwoch – für Sydney jedes Mal ein besonderer Schultag, da sie, wie jede
Woche, auch an diesem Nachmittag den Dichter- und Schriftstellerkursus besuchte .
Es war ein wirklich
schöner Tag, der nicht nur durch den hübschen Kerl versüßt wurde, sondern dank
der warmen Sonnenstrahlen Sydneys Gemüt zusätzlich aufblühen ließ. Den größten
Teil der Mittagspause verbrachte sie gemeinsam mit ihrer Schwester und den Nachbarjungs
auf dem Schulhof. Die Kunde von den beiden gut aussehenden Ankömmlingen hatte
sich wie ein Lauffeuer in der Schule verbreitet und wurde zum Gesprächsthema
Nummer eins.
Das ungewöhnliche
Verhalten von Elias und seinem Bruder war nicht nur Sydney, sondern auch ihrer
Stiefschwester aufgefallen. Auf der Lehne einer Holzbank sitzend, nahm sie
endlich ihren Mut zusammen und eröffnete das wohl beliebtesten Thema des Tages.
„Ihr seht überhaupt
nicht begeistert aus. Das typische Rivalitätsverhalten junger Erwachsener“,
sagte Marri lächelnd und stupste dabei Sydney mit dem Ellenbogen an. Doch diese
zeigte keine Reaktion auf den unterschwelligen Witz und starrte, als ob sie
nichts mitbekommen hätte, in die Ferne – dorthin, wo Anthony und sein
Bruder Jeremy an einem Treppenabsatz saßen. Diesen verträumten Blick ihrer
Stiefschwester kannte Marri allmählich sehr gut. In einer anderen Situation
hätte sie womöglich einen schwärmerischen Anflug vermutet, doch nun war es
nichts Besonderes, denn fast jeder Schüler der Jonathan’s High starrte gerade die beiden Kraftprotze an. So
auch Elias und Aragon.
Geistesabwesend
bewegte Aragon den Kopf von rechts nach links.
„Nein,
Rivalitätsverhalten setzt eine Gleichstellung der Personen voraus. Um dieses
Gefühl zu empfinden, müssten wir sie als uns ebenbürtig betrachten. Das tun wir
aber nicht. Meiner Meinung nach sind es zwei Proleten, nicht wahr, Bruder?“
Elias nickte nur
mit dem Kopf und sagte kein Wort.
„Mir kommen die
Kerle nur sehr komisch vor. Ich traue ihnen nicht über den Weg. Allein
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