Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
Anscheinend hatten sie den gleichen Geschmack, was ihre Freunde
anging, und verspürten Verachtung für die gleichen Mitschüler.
Anthony
strafte Mike mit einem bösen Blick, ignorierte jedoch dezent seinen Kommentar.
Diese selbstsichere Zurückhaltung imponierte Sydney.
„Das Schreiben von
Gedichten gehört zu den wohl schwierigsten Aufgaben der musischen Künste“,
begann Mrs. Garden schließlich ihren Unterricht. „Noch viel anspruchsvoller ist
es, ein schönes Gedicht zu verfassen, das nicht nur das Herz und die Seele des
Lesers berührt, sondern auch angenehm klingt und sich dazu noch reimt.“
Marion Smith rückte
seinen Stuhl nach vorne, stützte das Kinn auf die Handfläche und saugte jedes
Wort seiner Lehrerin wissbegierig auf.
„Das typische
Verhalten eines Strebers“, dachte Sydney bei sich und sah dem Treiben des
schmächtigen Jungen etwas angewidert zu. Sie war sehr tolerant. Die gute
Erziehung, die sie ihrem Vater zu verdanken hatte, lehrte sie, alle Menschen so
zu akzeptieren, wie sie waren, gegen niemanden Vorurteile zu hegen und
niemanden nur nach seinem Aussehen oder seinem bloßen Verhalten zu beurteilen.
Doch Marion Smith bildete eine extreme Ausnahme. Allein seine arrogante und herablassende
Art trieb sogar einen so ruhigen Menschen wie Sydney in den Wahnsinn.
Wer sie nicht in
den Wahnsinn trieb, war ihr Gegenüber, Anthony. Ihr Herz pochte jedes Mal vor
Aufregung, wenn sie versuchte, einen Blick des Jungen zu erhaschen, und
unauffällig ihren Kopf zu ihm drehte, doch leider wurde sie dabei jedes Mal
enttäuscht. Anthony erwiderte ihre Blicke nicht, schaute nur gelangweilt nach
vorne und schrieb die eine oder andere Anmerkung in seinen Block.
Sydney freute sich
stets auf ihren Lieblingskursus und genoss jedes Mal den wöchentlichen
Unterricht mit Mrs. Garden, doch an diesem Tag konnte sie den Ausführungen
ihrer Lehrerin kaum folgen. Sie wusste nicht, was mit ihr los war, auch konnte
sie sich das plötzliche Gefühl, das sich warm in ihrem Inneren ausbreitete,
nicht erklären; aber es war ein schönes Gefühl.
Mrs. Garden hielt
eine lange und ausführliche Rede über ihr bekannte Gedichte, die alle
Anforderungen erfüllten, die ein Gedicht zu einem Lesevergnügen machten. Das
Reimen war der wichtigste Punkt des heutigen Unterrichts.
Geistesabwesend
lauschte Sydney dem monotonen Verlauf des Vortrages und fragte sich, weshalb
Anthony ihr absolut kein Interesse entgegenbrachte.
Die Stunde ging
schnell zu Ende und der laute Gong riss Sydney endgültig aus ihren Tagträumen.
„Heute bekommt ihr
eine Hausaufgabe von mir“, sagte Mrs. Garden und ging zur Tafel. „Schreibt ein
Gedicht, das sowohl das Herz berührt als auch gut klingt. Bitte achtet
besonders gut auf euren Reim.“
Im Gegensatz zu den
anderen Hausaufgaben war dies eine, die Spaß machte. Sydney freute sich schon
jetzt auf die nächste Woche und war gespannt darauf, welche Ergebnisse ihre
Mitschüler präsentieren würden.
Anthony schrieb die
letzte Notiz in seinen Block, schlug diesen plötzlich zu und verschwand durch
die Tür. Ohne ein Wort zu sagen und sich von den anderen zu verabschieden, war
er fort. Ein unfreundliches Verhalten, das Sydneys Schwärmerei für diesen Kerl
aber nicht verringerte.
Karl und seine
Söhne warteten bereits am Auto, als die beiden Mädchen den Schulhof verließen
und auf direktem Weg auf sie zusteuerten.
Karl schien an
diesem Tag nicht so gut gelaunt zu sein wie sonst. Woran dies liegen konnte,
wusste keiner, Sydney vermutete aber einen familiären Streit, über den keiner
der Männer reden wollte, und ging auf das Thema somit auch nicht näher ein.
„Da seid ihr ja,
Mädchen. Wie war euer Schultag?“, fragte Karl und zwang sich deutlich zu einem
Lächeln. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck besorgter Unruhe, doch diesen
versuchte er mit aller Kraft zu überspielen.
„Super“, übernahm
Marri das Reden. „Als ob wir nicht bereits genug zu tun hätten, wurde uns dazu
noch das Schreiben eines Gedichtes aufgebrummt. Der Tag kann ja nur besser
werden, oder?“
Sydney nickte
verhalten, da für sie das Dichten nichts Negatives war. Aus geschwisterlicher
Toleranz wollte sie aber nicht aufbegehren.
„Da hast du aber
recht“, antwortete Karl und schmunzelte etwas. „Zu Hause wartet eine kleine
Überraschung auf euch.“
Die beiden Mädchen
wechselten verwirrte Blicke. Eine Überraschung? Was konnte es sein? Die Fahrt
nach Hause verlief eher langweilig. Das große Schweigen
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