Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
…«
»Wo willst du denn jetzt hin?«, fragte sie.
»Nach Hause. Ich denke, ich bin schon viel zu lange hier gewesen. Irdische wie ich gehören nicht an einen Ort wie diesen.«
Sie seufzte. »Hör zu, es tut mir leid, okay? Ich hatte nicht vor, ihn zu küssen; es ist einfach passiert. Ich weiß, dass du ihn nicht magst.«
»Nein«, erwiderte Simon noch förmlicher. »Ich mag keine abgestandene Cola. Ich mag keine dämliche BoygroupPopmusik. Ich mag es nicht, im Stau festzustecken. Ich mag keine Mathehausaufgaben. Aber ich hasse Jace. Erkennst du den Unterschied?«
»Er hat dir das Leben gerettet«, bemerkte Clary, wobei sie sich wie eine Lügnerin vorkam – schließlich war Jace nur ins Hotel Dumort mitgekommen, weil er fürchtete, Ärger zu bekommen, falls ihr irgendetwas zustieß.
»Das sind nur Details«, erwiderte Simon abschätzig. »Er ist ein Arschloch. Ich hätte nicht gedacht, dass du so tief sinken kannst.«
Clary spürte heiße Wut auflodern. »Ach, und jetzt glaubst ausgerechnet du , aufs hohe Ross steigen zu müssen?«, fauchte sie. »Du bist doch derjenige, der die ›Braut mit dem geilsten Body‹ zur Herbstfete einladen wollte.« Sie imitierte Erics träge, schleppende Stimme. Simon presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Also was kümmert es dich, wenn Jace sich manchmal wie ein Blödmann benimmt? Du bist weder mein Bruder noch mein Vater – du musst ihn nicht mögen. Ich habe noch keine einzige deiner Freundinnen leiden können, aber ich hatte immer den Anstand, das für mich zu behalten.«
»Das ist was anderes«, stieß Simon zwischen zusammengebissenen Zahnen hervor.
»Ach ja? Und wieso?«
»Weil ich mitbekommen habe, wie du ihn ansiehst!«, rief er wütend. »Und ich habe keines dieser Mädchen je auf diese Weise angesehen! Das war nur ein Zeitvertreib, eine Art Übung, bis …«
»Bis was?« Clary spürte dunkel, dass sie schrecklich zu ihm war. Die ganze Geschichte war schrecklich. Bis zu diesem Moment hatten sie sich höchstens mal darüber gestritten, wer den letzten Schokokuss aus der Schachtel im Baumhaus essen durfte. Doch sie schien einfach nicht aufhören zu können. »Bis du Isabelle kennengelernt hast? Ich kann nicht fassen, dass du mir wegen Jace Vorträge hältst, während du einen kompletten Idioten aus dir gemacht hast, und zwar wegen ihr!« Ihre Stimme überschlug sich nun fast.
»Ich hab versucht, dich eifersüchtig zu machen!«, brüllte Simon zurück. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. »Du bist so blöd, Clary. So blöd ! Kapierst du denn gar nichts?«
Verblüfft starrte sie ihn an. Wovon zum Teufel redete er? »Du hast versucht, mich eifersüchtig zu machen? Warum um alles in der Welt?«
Sie erkannte sofort, dass es das Schlimmste war, was sie hätte fragen können.
»Weil«, setzte er so bitter an, dass sie erschrak, »weil ich seit zehn Jahren in dich verliebt bin. Deshalb dachte ich, es wäre an der Zeit herauszufinden, ob du das Gleiche für mich empfindest. Was aber anscheinend nicht der Fall ist.« Genauso gut hätte er ihr einen Tritt in den Magen verpassen können. Clary brachte keinen Ton hervor; die Luft schien aus ihren Lungen gewichen zu sein. Sie starrte ihn an, suchte fieberhaft nach einer Antwort, irgendeiner Antwort.
»Nein. Lass das. Es gibt nichts, was du sagen könntest«, unterbrach er sie rüde, als sie gerade ansetzen wollte.
Wie gelähmt sah sie ihm nach, wie er zur Tür ging. Sie konnte sich nicht dazu bringen, ihn zurückzuhalten – sosehr sie es auch wollte. Aber was hätte sie sagen sollen? Ich liebe dich auch? Nein, denn sie liebte ihn nicht – oder doch?
Simon blieb an der Tür stehen, eine Hand auf dem Türknauf, und drehte sich noch einmal zu ihr um. Seine Augen hinter den Brillengläsern wirkten nun eher müde als wütend. »Willst du wirklich wissen, was meine Mutter sonst noch über dich gesagt hat?«, fragte er.
Clary schüttelte den Kopf.
Er schien es nicht zu bemerken. »Sie meinte, du würdest mir das Herz brechen«, sagte er und ging. Die Tür fiel mit einem deutlichen Klicken hinter ihm ins Schloss und Clary war allein.
Nachdem er weg war, ließ sie sich auf ihr Bett sinken und griff nach ihrem Skizzenblock. Sie drückte ihn gegen die Brust, wollte nicht darin zeichnen, sondern nur den Geruch vertrauter Dinge wahrnehmen – Tinte, Papier, Kreide.
Sie dachte daran, Simon nachzulaufen, ihn einzuholen. Aber was hätte sie ihm sagen sollen? Was konnte sie überhaupt sagen? Du bist so blöd,
Weitere Kostenlose Bücher