Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
er.
Isabelle hielt Jace ihre Stele hin. »Hier.«
Er nickte und führte die Spitze der Stele von oben nach unten über Alecs Hemdbrust. Der Stoff fiel auseinander, als ob er ihn mit einem Messer zerschnitten hätte. Isabelle beobachtete mit verzweifeltem Blick, wie er das Hemd gänzlich aufriss und Alecs Brust freilegte. Seine Haut war sehr blass und an einigen Stellen mit alten, schimmernden Narben bedeckt. Daneben konnte man noch andere Verletzungen erkennen: ein rasch dunkler werdendes Netz von Klauenspuren, aus denen rotes Blut sickerte. Konzentriert fuhr Jace mit der Stele über Alecs Haut, bewegte sie mit geschmeidigen, hundertfach geübten Bewegungen hin und her. Doch irgendetwas war anders als sonst: Noch während er die Heilrunen zeichnete, verschwanden sie so schnell, als hätte er sie auf eine Wasseroberfläche gekritzelt.
Jace schleuderte die Stele zur Seite. »Verdammt!«
»Was ist los?«, fragte Isabelle mit schriller Stimme.
»Er hat ihn mit seinen Klauen erwischt«, sagte Jace. »Alec hat Dämonengift in den Adern. Die Male helfen nicht.« Erneut berührte er sanft Alecs Gesicht. »Alec«, sagte er, »hörst du mich?«
Alec bewegte sich nicht; die Schatten unter seinen Augen waren so dunkel, dass sie wie Blutergüsse aussahen. Wenn er nicht geatmet hätte, hätte Clary ihn für tot gehalten. Isabelle ließ den Kopf sinken; ihre Haare bedeckten Alecs Gesicht. »Vielleicht«, flüsterte sie, »können wir …«
»Ihn ins Krankenhaus bringen.« Simon stand über ihnen, den Bogen locker in einer Hand. »Ich helfe euch, ihn in den Transporter zu tragen. Unten auf der Seventh Avenue ist das Methodist …«
»Kein Krankenhaus«, sagte Isabelle. »Wir müssen ihn ins Institut schaffen.«
»Aber …«
»Die Leute im Krankenhaus werden nicht wissen, wie sie ihn behandeln sollen«, erklärte Jace. »Er ist von einem Dämonenfürsten verwundet worden. Kein irdischer Arzt könnte diese Wunden heilen.«
Simon nickte. »Verstehe. Wir bringen ihn zum Auto.«
Sie hatten Glück – der Bus war nicht abgeschleppt worden. Isabelle drapierte eine schmutzige Decke über den Rücksitz; dann legten sie Alec so darauf, dass sein Kopf in Isabelles Schoß ruhte. Jace hockte sich auf den Boden neben seinen Freund. Sein Hemd war an den Ärmeln und auf der Brust dunkel vor Blut, das teils von dem Dämon, teils von ihm selbst stammte. Als er Simon anschaute, sah Clary, dass der goldene Schimmer aus seinen Augen verschwunden war und etwas anderem Platz gemacht hatte – Panik.
»Fahr schnell, Irdischer«, stieß er hervor. »Fahr, als ob der Teufel dir auf den Fersen wäre.«
Und Simon raste los.
Sie jagten schwankend durch Fiatbush und rasten über die Brücke, so schnell wie der Zug, der neben ihnen über das blaue Wasser donnerte.
Das helle Sonnenlicht ließ Lichtreflexe auf der Wasseroberfläche aufblitzen und schmerzte Clary in den Augen. Sie klammerte sich am Sitz fest, während Simon mit fünfundsiebzig Stundenkilometern die Kurve der Brückenabfahrt nahm. Sie musste an die schrecklichen Dinge denken, die sie zu Alec gesagt hatte, daran, wie er sich auf Abbadon gestürzt hatte, und an den triumphalen Ausdruck auf seinem Gesicht. Dann drehte sie den Kopf und schaute sich zu Jace um, der neben seinem Freund kniete, während Blut durch die Decke unter Alec sickerte. Sie dachte an den kleinen Jungen mit dem toten Falken. Lieben heißt zerstören.
Als Clary sich wieder umwandte, spürte sie einen Kloß tief in der Kehle. Im Rückspiegel, der in einem seltsamen Winkel herabhing, konnte sie Isabelle sehen, die die Decke über Alec zurechtzog. Sie schaute auf und bemerkte Clarys Blick. »Wie lange noch?«
»Vielleicht zehn Minuten. Simon fährt, so schnell er kann.« »Ich weiß«, sagte Isabelle. »Simon, was du da eben getan hast, war unglaublich. Du hast blitzschnell reagiert. Ich hätte nie gedacht, ein Irdischer könnte auf so eine Idee kommen.«
Simon schien das Lob aus dieser für ihn unerwarteten Richtung kaltzulassen; seine Augen blieben auf die Straße gerichtet. »Das Oberlicht zu zerschießen, meinst du? Der Gedanke kam mir schon, als ihr ins Haus gegangen seid. Ich musste an das Oberlicht denken und daran, dass du gesagt hattest, Dämonen könnten kein direktes Sonnenlicht ertragen. Im Grunde habe ich also eine ganze Weile gebraucht, um auf die Idee zu kommen. Und mach dir keine Vorwürfe«, fügte er hinzu, »ohne von der Existenz des Oberlichts zu wissen, hätte man es niemals entdecken
Weitere Kostenlose Bücher