Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
zuckte zurück. »Nicht.«
»Ich habe nie gewollt, dass Alec irgendwas passiert. Es tut mir so leid«, murmelte sie leise.
Er schaute sie an, als sähe er sie zum ersten Mal. »Es ist nicht deine Schuld«, erwiderte er. »Es ist meine.«
»Deine? Nein, Jace, das stimmt nicht …«
»Oh doch«, sagte er mit einer Stimme, so dünn und zerbrechlich wie ein Eissplitter. »Mea culpa, mea maxima culpa.«
»Was bedeutet das?«
»Meine Schuld, meine übergroße Schuld. Es ist Latein.« Geistesabwesend strich er ihr eine Haarlocke aus der Stirn. »Ein Teil der Liturgie.«
»Ich dachte, du glaubst nicht an Religion.«
»Ich glaube zwar nicht an die Sünde«, sagte er, »aber ich empfinde Schuld. Wir Schattenjäger leben nach einem Verhaltenskodex und dieser Kodex ist eindeutig. Begriffe wie Ehre, Schuld und Buße sind für uns keine hohlen Phrasen; allerdings haben sie nichts mit Religion zu tun, sondern ausschließlich damit, wer und was wir sind. So bin ich nun mal, Clary«, fuhr er verzweifelt fort. »Ich gehöre dem Rat an. Es steckt in meinen Genen, in meinem Blut. Wenn du dir also so sicher bist, dass es nicht mein Fehler war, dann sag mir eines: Woher kommt es, dass ich im ersten Moment, als ich Abbadon sah, nicht an meine Mitkämpfer gedacht habe, sondern an dich?« Er hob die andere Hand und hielt ihr Gesicht zwischen seinen Handflächen fest. »Ich weiß … ich wusste … dass Alec nicht wie er selbst handelte. Ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Doch stattdessen habe ich nur an dich gedacht …«
Er ließ den Kopf sinken, bis seine Stirn die ihre berührte. Clary konnte spüren, wie sein Atem ihre Wimpern erbeben ließ. Sie schloss die Augen, gab sich ganz dem Gefühl seiner Nähs hin. »Wenn Alec stirbt, wird es so sein, als ob ich ihn getötet hätte«, murmelte Jace. »Ich habe meinen Vater sterben lassen und jetzt habe ich den einzigen Bruder umgebracht, den ich je hatte.«
»Das stimmt nicht«, flüsterte sie.
»Doch.« Sie standen so dicht beieinander, dass er sie hätte küssen können. Und noch immer hielt er sie so fest, als ob nichts ihn davon überzeugen könnte, dass sie real war. »Clary«, sagte er, »was passiert mit mir?«
Sie suchte verzweifelt nach einer Antwort – und hörte plötzlich, wie jemand sich räusperte. Als sie die Augen öffnete, stand Hodge in der Tür der Krankenstation; sein ehemals makelloser Tweedanzug war mit Flecken übersät. »Ich habe getan, was ich konnte. Er hat Beruhigungsmittel bekommen und ist schmerzfrei, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Ich muss die Stillen Brüder informieren. Das hier geht über meine Fähigkeiten hinaus.«
Jace ließ Clary langsam los. »Wie lange wird es dauern, bis sie hier sind?«
»Keine Ahnung.« Kopfschüttelnd ging Hodge den Korridor entlang. »Ich werde Hugo sofort losschicken, aber letztlich entscheiden die Brüder selbst, wann sie sich der Sache annehmen.«
»Aber in einem Fall wie diesem …« Selbst Jace hatte Mühe, mit Hodges langen Schritten mitzuhalten; Clary war inzwischen einige Meter hinter den beiden zurückgeblieben und verstand ihre Worte nur noch bruchstückhaft. »Er könnte sonst sterben.«
»Das wäre möglich«, erwiderte Hodge knapp.
Die Bibliothek war dunkel und roch nach Regen: Eines der Fenster stand offen und unter den Vorhängen hatte sich eine Wasserpfütze gebildet. Hugo krächzte und hüpfte auf seiner Stange auf und ab, während Hodge zu ihm hinüberging und auf dem Weg die Lampe auf seinem Schreibtisch einschaltete. »Ein Jammer«, sagte Hodge und griff nach Papier und Füllfederhalter, »dass ihr den Kelch nicht gefunden habt. Ich bin mir sicher, für Alec und gewiss auch für seine Familie wäre es ein großer Trost gewesen, wenn …«
»Aber wir haben den Kelch«, rief Clary verwirrt. »Hast du es ihm denn nicht erzählt, Jace?«
Jace blinzelte, wobei Clary nicht sagen konnte, ob das an seiner eigenen Verblüffung oder der plötzlichen Helligkeit im Raum lag. »Dafür war noch gar keine Zeit … ich habe erst Alec nach oben gebracht …«
Hodge stand plötzlich stocksteif da; die Spitze des Füllers verharrte bewegungslos auf dem Papier. »Ihr habt den Kelch?«
»Ja.« Clary holte den Kelch aus ihrer Tasche: Er fühlte sich immer noch kalt an, als ob der Kontakt mit ihrer Haut das Metall nicht erwärmen konnte. Die Rubine glitzerten wie rote Augen. »Hier ist er.«
Der Füller glitt Hodge aus den Fingern, rollte über den Tisch und fiel neben seinen Füßen zu Boden. Das
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