Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
sich an wie zugenäht. Fast glaubte sie zu fühlen, wie die Haut riss, als sie mühsam die Augen öffnete und das erste Mal seit drei Tagen blinzelte.
Über sich sah sie einen klaren blauen Himmel, weiße Wölkchen und pausbäckige Engel, von deren Handgelenken lange goldene Schleifen herabbaumelten. Bin ich tot? , fragte sie sich. Konnte das der Himmel sein? Sie kniff kurz die Augen zusammen und schaute dann erneut nach oben. Dieses Mal erkannte sie, dass sie auf eine gewölbte Decke blickte, die mit Wolken und Putten im Rokoko-Stil bemalt war.
Unter Schmerzen setzte sie sich auf. Ihr gesamter Körper tat weh, besonders der Nacken. Sie sah sich um. Sie lag in einem leinenbezogenen Bett, das in einer langen Reihe ähnlicher Betten mit Metallrahmen stand. Neben dem Bett befand sich ein Nachttischchen, auf dem ein weißer Krug und eine Tasse thronten. Die Spitzenvorhänge an den Fenstern waren zugezogen, sodass nur gedämpftes Licht einfiel. Von draußen drang schwach das allgegenwärtige Rauschen des New Yorker Großstadtverkehrs in den Raum.
»Na, endlich aufgewacht?«, fragte eine Stimme. »Das wird Hodge freuen. Wir dachten schon, du wachst gar nicht mehr auf und stirbst.«
Clary drehte sich um. Isabelle saß auf dem Nachbarbett; das lange rabenschwarze Haar war zu zwei dicken Zöpfen geflochten, die ihr bis zur Taille reichten. Statt des weißen Kleides trug sie Jeans und ein enges blaues Trägertop, doch der rote Anhänger baumelte noch an ihrem Hals. Das dunkle, kunstvolle Spirallinienmuster an ihrem Handgelenk war verschwunden, ihre Haut wirkte rein und weiß wie unberührter Schnee.
»Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.« Clarys Stimme klang rau wie Sandpapier. »Ist das hier das Institut?«
Isabelle verdrehte die Augen. »Gibt’s eigentlich irgendwas, das Jace dir noch nicht verraten hat?«
Clary hustete. »Dann ist das hier also das Institut?«
»Ja. Du bist auf der Krankenstation, aber das hast du ja wahrscheinlich längst mitbekommen.«
Unvermittelt spürte Clary einen stechenden Schmerz. Sie schnappte nach Luft und hielt sich den Bauch.
Isabelle musterte sie besorgt. »Alles in Ordnung?«
Der Schmerz ebbte ab, aber Clary fühlte Säure im Hals und einen seltsamen Schwindel. »Mein Magen.«
»Ach ja, richtig. Das hätte ich fast vergessen: Hodge hat gesagt, ich soll dir das hier geben, wenn du aufwachst.« Isabelle griff nach dem Porzellankrug und goss etwas Flüssigkeit in die Tasse, die sie Clary reichte. Die dunkle, leicht dampfende Brühe war trüb und roch nach Kräutern und einer weiteren, aromatischen Zutat. »Du hast seit drei Tagen nichts gegessen«, erklärte Isabelle, »deshalb fühlst du dich wahrscheinlich so schlecht.«
Clary nippte vorsichtig an der Tasse. Das Elixier schmeckte köstlich, es sättigte und besaß einen sahnigen Nachgeschmack. »Was ist das?«
Isabelle zuckte die Achseln. »Einer von Hodges Kräuteraufgüssen – die wirken immer.« Sie rutschte vom Bett und dehnte katzengleich den Rücken. »Ich heiße übrigens Isabelle Lightwood. Ich wohne hier.«
»Ich weiß und ich bin Clary, Clary Fray. Hat Jace mich hierhergebracht?«
Isabelle nickte. »Hodge war stocksauer. Der ganze Teppich im Eingang war voller Blut und Eiter. Wenn meine Eltern da gewesen wären, hätte Jace sicher Hausarrest bekommen.« Sie musterte Clary interessiert. »Jace behauptet, du hättest diesen Ravener-Dämon ganz allein getötet.«
Das Bild des Skorpionwesens mit dem boshaften, abstoßenden Antlitz schoss Clary durch den Kopf; schaudernd umklammerte sie die Tasse. »Sieht ganz so aus.«
»Aber du bist eine Mundie .«
»Ja, verblüffend, was?«, meinte Clary und genoss Isabelles schlecht verhohlene Verwunderung. »Wo ist Jace? Ist er auch hier?«
Isabelle zuckte die Achseln. »Vermutlich ist er nicht weit. Ich sag mal den anderen Bescheid, dass du wach bist. Hodge will bestimmt mit dir reden.«
»Hodge ist Jace’ Tutor, richtig?«
»Hodge betreut uns alle.« Sie wies auf eine Tür. »Da ist das Bad; ich hab dir schon ein paar alte Klamotten von mir über die Handtuchstange gehängt, damit du was Sauberes zum Anziehen hast.«
Clary wollte noch einen Schluck aus der Tasse nehmen, stellte jedoch fest, dass sie bereits leer war. Zum Glück fühlte sie sich nicht länger schwindlig oder hungrig. Sie setzte die Tasse ab und zog die Bettdecke bis zur Nasenspitze. »Was ist mit meinen Sachen?«
»Die waren voller Blut und Gift. Jace hat sie verbrannt.«
»Ach, tatsächlich?«,
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