Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
Luft. »Das ist nicht lustig«, stieß Jace düster hervor.
»Das war auch nicht meine Absicht«, sagte der Vampir unbeirrt. »Aber so entstehen wir nun mal. Wir sterben, bluten aus und werden begraben. Und erst wenn er sich eigenhändig einen Weg aus seinem Grab geschaufelt hat, erwacht ein neuer Vampir zum Leben.«
Isabelle schnaubte angewidert. »Ich glaub nicht, dass ich das könnte.«
»Einige können es tatsächlich nicht«, sagte Raphael. »Und wenn niemand da ist, um ihnen herauszuhelfen, verharren sie dort, eingesperrt wie Ratten unter der Erde.«
Ein Ton bahnte sich seinen Weg aus Clarys Kehle, ein Wimmern so heiser wie ein Schrei. »Ich lass nicht zu, dass er begraben wird«, stieß sie schluchzend hervor.
»Dann wird er für immer in diesem Zustand bleiben«, sagte Raphael unbarmherzig. »Tot, aber nicht richtig tot. Und es gibt kein Erwachen.«
Sämtliche Blicke richteten sich auf Clary. Isabelle und Jace schienen atemlos auf ihre Antwort zu warten, während Raphael einen unbeteiligten, fast gelangweilten Eindruck machte.
»Du bist nicht ins Institut hineingekommen, weil es dir nicht möglich ist, stimmt’s?«, fragte Clary. »Weil das hier Geweihter Boden ist und du unheilig bist.«
»Das trifft es nicht ganz …«, setzte Jace an, doch Raphael schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Ihr müsst wissen«, sagte der Vampir, »dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Je länger wir mit dem Begraben warten, desto geringer ist die Chance, dass er sich aus eigener Kraft aus dem Grab schaufeln kann.«
Clary schaute auf Simon hinab. Er sah wirklich so aus, als würde er schlafen – wenn man die klaffenden Wunden in seiner Haut außer Acht ließ. »Wir können ihn begraben«, sagte sie schließlich. »Aber ich will, dass er auf einem jüdischen Friedhof beerdigt wird. Und ich will dabei sein, wenn er aufwacht.«
Raphaels Augen funkelten. »Das wird kein schöner Anblick werden.«
»Was ist schon jemals ein schöner Anblick?«, stieß Clary zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Lasst uns aufbrechen. Wir haben nur noch ein paar Stunden bis zur Morgendämmerung.«
10
E IN O RT DER S TILLE
Der Friedhof befand sich am Stadtrand von Queens, wo die Mietshäuser einer Reihe adretter viktorianischer Häuser in hübschen Pastellfarben – Rosa, Weiß und Blau – Platz machten. Die breiten Straßen lagen wie ausgestorben da und die Allee, die zum Friedhof führte, wurde von nur einer einzigen Straßenlampe beleuchtet. Das verschlossene Friedhofstor stellte für die Schattenjäger mit ihren Stelen kein Problem dar, aber sie brauchten eine Weile, bis sie eine geeignete Stelle gefunden hatten, die abgelegen genug lag, dass Raphael mit dem Graben beginnen konnte. Auf der Kuppe eines flachen Hügels und durch eine dichte Baumreihe vom Weg abgetrennt, setzte er seinen Spaten an. Clary, Jace und Isabelle hatten sich mithilfe von Zauberglanz unsichtbar gemacht, doch für Raphael bestand keine Möglichkeit, sich selbst oder Simons Leichnam zu verbergen; daher boten die Bäume einen willkommenen Sichtschutz.
Die vom Weg abgewandten Flächen des Hügels waren dicht mit Grabsteinen überzogen, von denen viele einen eingravierten Davidstern besaßen. Im Schein des Mondes schimmerten sie weiß und glatt wie Milch. In der Ferne lag ein See, dessen Oberfläche sich im Wind leicht kräuselte. Ein netter Ort, dachte Clary, ein friedlicher Ort, wo man gern hinkommt, um Blumen auf ein Grab zu legen, einen Moment zu verweilen und über das Leben der Verstorbenen nachzudenken und darüber, wie viel sie einem bedeutet haben. Aber kein guter Ort, um dort mitten in der Nacht, im Schutze der Dunkelheit, einen Freund zu begraben – in einem flachen Erdloch, ohne Sarg und Grabrede.
»Hat er leiden müssen?«, fragte sie Raphael.
Er unterbrach seine Grabungsarbeiten, schaute hoch und stützte sich auf den Stiel der Schaufel wie der Totengräber in Hamlet . »Was?«
»Simon. Hat er gelitten? Haben die Vampire ihm große Schmerzen zugefügt?«
»Nein. Der Bluttod ist gar keine so üble Art zu sterben«, sagte Raphael in weichem, fast melodischem Ton. »Der Biss hat eine betäubende Wirkung. Es ist angenehm, als würde man einschlafen.«
Eine Woge des Schwindels erfasste Clary und einen Moment lang dachte sie, sie würde in Ohnmacht fallen. »Clary.« Jace’ Stimme riss sie aus ihrem Taumel. »Komm, du musst dir das nicht antun.« Er streckte ihr seine Hand entgegen.
Clary schaute an ihm vorbei und sah
Weitere Kostenlose Bücher