Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
mit Simon gemacht?« In diesem Moment wirkte ihre Stimme klar und gebieterisch – sie klang exakt wie ihre Mutter.
»El no es muerto« , sagte Raphael in einem gleichmütigen, emotionslosen Ton und legte Simon mit erstaunlicher Behutsamkeit Clary zu Füßen. Sie hatte vergessen, wie stark er war – trotz seiner schmächtigen Statur besaß er die übernatürliche Körperkraft der Vampire.
Im Schein der Kerzen, der sich durch die Tür ergoss, sah Clary, dass die Front von Simons T-Shirt blutdurchtränkt war.
»Hast du gerade gesagt …«, setzte sie an.
»Er ist nicht tot«, murmelte Jace und hielt sie noch fester. »Er ist nicht tot.«
Ruckartig riss Clary sich von ihm los und kniete sich auf den Beton. Sie hatte nicht die geringste Scheu, Simons blutverkrustete Haut zu berühren, während sie ihm die Hände unter den Kopf schob und ihn auf ihren Schoß zog. Sie spürte nichts außer dem maßlosen, kindlichen Entsetzen, das sie im Alter von fünf Jahren empfunden hatte, als sie die heiß geliebte Schreibtischlampe ihrer Mutter zerbrochen hatte. Nichts, sagte eine Stimme tief in ihrem Kopf, wird diese Teile je wieder zusammenfügen können.
»Simon«, flüsterte sie und berührte vorsichtig sein Gesicht. Seine Brille war verschwunden. »Simon, ich bin’s.«
»Er kann dich nicht hören«, sagte Raphael. »Er liegt im Sterben.«
Entsetzt riss sie den Kopf hoch. »Aber du hast doch gesagt …«
»Ich habe gesagt, dass er noch nicht tot ist«, erwiderte Raphael. »Aber in wenigen Augenblicken – maximal zehn Minuten – wird sein Herz langsamer schlagen und schließlich ganz versagen. Er befindet sich bereits jetzt in einem Zustand, in dem er nichts mehr hört oder sieht.«
Unwillkürlich drückte Clary Simon fester an sich. »Wir müssen ihn in ein Krankenhaus bringen – oder Magnus rufen.«
»Das nutzt ihm alles nichts mehr«, sagte Raphael. »Du verstehst das nicht.«
»Nein«, sagte Jace, dessen Stimme so weich wie Seide mit nadelscharfen Spitzen klang. »Das verstehen wir nicht. Und vielleicht solltest du es uns lieber schnell erklären. Anderenfalls muss ich davon ausgehen, dass du ein bösartiger Blutsauger bist, und dir das Herz aus der Brust schneiden. So wie ich es bei unserer letzten Begegnung hätte tun sollen.«
Raphael lächelte ihn freudlos an. »Du hast geschworen, mir kein Leid zuzufügen, Schattenjäger. Schon vergessen?«
»Aber ich habe nichts geschworen«, konterte Isabelle und schwang den Kerzenständer.
Raphael ignorierte sie. Er konzentrierte sich noch immer auf Jace. »ich habe mich an jene Nacht erinnert, als ihr in unser Hotel eingedrungen seid, um nach eurem Freund zu suchen.« Er deutete auf Simon. »Deshalb habe ich ihn hierhergebracht, als ich ihn bei uns fand … statt zuzulassen, dass die anderen ihm das Blut vollständig aus den Adern saugten. Er ist in unser Versteck eingedrungen, ohne Erlaubnis, und war daher Freiwild. Aber ich habe ihn am Leben gehalten, weil ich wusste, dass er zu euch gehört. Mir liegt absolut nichts an einem Krieg mit den Nephilim.«
»Simon ist bei euch eingedrungen? «, fragte Clary ungläubig. »Etwas so Dummes und Verrücktes hätte er niemals gemacht.«
»Aber er hat es getan«, sagte Raphael mit dem Anflug eines schwachen Lächelns, »weil er fürchtete, einer von uns zu werden … weil er wissen wollte, ob der Vorgang rückgängig gemacht werden könnte. Vielleicht erinnerst du dich ja daran, dass er mich bei eurem letzten ›Besuch‹, als er eine Ratte war, in den Finger gebissen hat.«
»Äußerst umsichtig von ihm«, sagte Jace. »Das hat mir gefallen.«
»Ja, vielleicht«, erwiderte Raphael. »Jedenfalls ist bei diesem Biss etwas von meinem Blut in seinen Mund gedrungen. Und ihr wisst ja, dass wir auf diese Weise unsere Kräfte an andere weitergeben. Über unser Blut.«
Über das Blut. Plötzlich erinnerte Clary sich daran, wie Simon beim Anblick des Vampirfilms im Fernsehen und beim Kontakt mit den Sonnenstrahlen im McCarren Park zusammengezuckt war. »Er dachte, er würde sich in einen von euch verwandeln«, sagte sie. »Und er ist zum Hotel Dumort, um herauszufinden, ob seine Befürchtung stimmt.«
»Ja«, bestätigte Raphael. »Das Tragische daran ist nur, dass die Wirkung meines Bluts im Laufe der Zeit sehr wahrscheinlich nachgelassen hätte, wenn er in Ruhe abgewartet hätte. Aber jetzt …« Achselzuckend deutete er auf Simons schlaffen Körper.
»Aber jetzt was? «, fragte Isabelle. Ihre Stimme klang rau. »Jetzt wird
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