Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
jede Nacht ihnen gehören würde und nicht nur diese eine. Clary stützte das Kinn auf die Hände und sah zu, wie er den Vorhang schloss, dann seine weiße Jacke auszog und sie über die Rückenlehne des Stuhls hängte. Darunter trug er ein hellgraues T-Shirt, und als er den Waffengürtel löste und auf den Boden legte, schimmerten die dunklen Runenmale auf seinen nackten Oberarmen. Dann bückte er sich, um seine Stiefel aufzuschnüren, streifte sie ab, kam zum Bett und legte sich äußerst vorsichtig neben Clary. Flach auf dem Rücken liegend, wandte er ihr den Kopf zu. Das wenige Licht, das entlang des Vorhangs in den Raum fiel, reichte ihr, um die Konturen seines Gesichts und das helle Strahlen seiner Augen erkennen zu können.
»Gute Nacht, Clary«, sagte er leise.
Seine Arme lagen dicht neben ihm und er schien kaum zu atmen - Clary war sich nicht einmal sicher, ob sie selbst noch atmete. Behutsam schob sie ihre eigene Hand über die Bettdecke, gerade so weit, dass ihre Fingerspitzen einander berührten - so leicht, dass Clary es wahrscheinlich nicht einmal gespürt hätte, wenn sie jemanden anderen als Jace berührt hätte. Doch die Nervenden an ihren Fingerspitzen prickelten leicht, als hielte sie sie über eine schwache Flamme. Sie spürte, wie sein Körper sich neben ihr kurz anspannte und dann wieder lockerte. Er hielt die Augen geschlossen und seine Wimpern warfen zarte Schatten auf die Rundungen seiner Wangenknochen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als würde er spüren, dass sie ihn beobachtete, und Clary fragte sich, wie er wohl am Morgen aussehen würde, mit zerzausten Haaren und Schlafspuren im Gesicht. Der Gedanke daran schenkte ihr trotz allem ein intensives Glücksgefühl.
Vorsichtig verschränkte sie ihre Finger mit den seinen. »Gute Nacht«, flüsterte sie und dann - wie zwei Kinder in einem Märchen, die sich an den Händen hielten - fiel sie neben Jace in einen tiefen Schlaf.
15
D IE W ELT Z ERFÄLLT
Luke hatte den Großteil der Nacht damit verbracht, durch das transparente Dach der Abkommenshalle den Lauf des Monds zu beobachten: Der Himmelskörper erinnerte ihn an eine Silbermünze, die über die glatte Oberfläche eines Glastischs rollte. Wie jeden Monat kurz vor Nahen des Vollmonds spürte er auch nun, dass sich seine Sehschärfe und sein Geruchssinn deutlich verbesserten, selbst in Menschengestalt. So konnte er beispielsweise in diesem Moment den Schweiß der Skepsis im Saal wahrnehmen und darunter den scharfen Gestank der Angst. Und er spürte die angespannte Sorge seines Rudels im Brocelind-Wald, das in der Dunkelheit unter den Bäumen ruhelos auf und ab lief und auf Nachricht von ihm wartete.
»Lucian.« Amatis’ Stimme drang leise, aber eindringlich an sein Ohr. »Lucian!«
Aus seinen Gedanken gerissen, bemühte Luke sich angestrengt, seinen Blick trotz seiner Müdigkeit auf das Bild vor ihm zu konzentrieren: Ein kleiner, abgerissener Haufen Schattenjäger stand im Saal beieinander - diejenigen, die zugestimmt hatten, sich seinen Plan wenigstens einmal anzuhören. Es waren weniger, als er erhofft hatte. Viele kannte er noch aus seinem früheren Leben in Idris - die Penhallows, die Lightwoods, die Ravenscars -, aber genauso viele hatte er erst kürzlich kennengelernt, wie etwa die Monteverdes, die das Institut in Lissabon leiteten und eine Mischung aus Portugiesisch und Englisch sprachen, oder Nasreen Chaudhury, die ernst dreinblickende Leiterin des Instituts von Bombay. Ihr dunkelgrüner Sari war mit kunstvollen Runen durchwirkt, deren Silberfäden so hell leuchteten, dass Luke jedes Mal instinktiv zurückwich, wenn sie ihm zu nahe kam.
»Also wirklich, Lucian«, tadelte Maryse Lightwood ihn in dem Moment. Ihr kleines bleiches Gesicht wirkte vor Erschöpfung und Kummer ganz verhärmt. Luke hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sie oder ihr Mann kommen würden, doch als er ihnen gegenüber die Versammlung angesprochen hatte, hatten sie sofort bereitwillig zugestimmt. Vermutlich musste er dankbar sein, dass sie sich tatsächlich in der Halle eingefunden hatten, auch wenn die Trauer Maryse ungehaltener und hitziger reagieren ließ als üblich. »Du bist doch derjenige, der uns alle hat hierherkommen lassen; dann könntest du jetzt wenigstens zuhören.«
»Das tut er doch.« Amatis hatte die Beine unter den Po gezogen wie ein junges Mädchen, doch ihr Gesichtsausdruck verriet Entschlossenheit. »Aber es ist nicht Lucians Schuld, dass wir uns die
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