Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
hintereinander… Unter Stephens Name standen drei lateinische Worte: AVE ATQUE VALE.
»Was bedeutet diese Inschrift?«, fragte Clary und wandte sich erneut Luke zu.
»Sie bedeutet >Sei gegrüßt und leb wohl!<. Es sind die Schlussworte aus einem Gedicht von Catull. Irgendwann haben sie sich als Abschiedsgruß der Nephilim bei Begräbnissen oder im Schlachtengetümmel eingebürgert. Aber jetzt komm weiter - mit solchen Dingen sollte man sich nicht zu intensiv beschäftigen, Clary.« Luke nahm sie an den Schultern und schob sie sanft von dem Mausoleum fort.
Vielleicht hat er recht, dachte Clary. Vielleicht war es wirklich besser, sich in diesem Moment nicht zu sehr mit den Gedanken an den Tod zu beschäftigen. Mit gesenkten Augen folgte sie Luke durch die Nekropole, doch als sie schon vor dem Eisentor am anderen Ende standen, fiel ihr Blick auf eine kleine Grabstätte, die wie ein weißer Pilz im Schatten einer dicht belaubten Eiche aufragte. Der Name über der Tür sprang ihr entgegen, als wären die Buchstaben in Neonfarben gemalt worden.
FAIRCHILD .
»Clary …«Luke streckte den Arm nach ihr aus, aber sie steuerte bereits darauf zu. Seufzend folgte er ihr in den Schatten des Baums, wo Clary wie angewurzelt stehen blieb und die Namen ihrer Großeltern und Urgroßeltern las, von deren Existenz sie nicht einmal geahnt hatte. ALOYSIUS FAIRCHILD. ADELE FAIRCHILD , GEB . NICHTSHADE . GRANVILLEFAIRCHILD . Und unter all diesen Namen: JOCELYN MORGENSTERN, GEB. FAIRCHILD. Eine eisige Woge erfasste Clary. Der Anblick des Namens ihrer Mutter brachte schlagartig die Erinnerung an ihre schlimmsten Albträume hoch, in denen sie am Grab ihrer Mom stand und niemand ihr sagen wollte, was geschehen oder woran sie gestorben war.
»Aber sie ist doch gar nicht tot«, protestierte Clary und schaute zu Luke auf. »Sie ist nicht tot…«
»Das hat der Rat nicht gewusst«, erklärte Luke sanft.
Clary schnappte nach Luft. Plötzlich konnte sie Lukes Stimme nicht mehr hören und ihn auch nicht mehr erkennen. Stattdessen sah sie eine zerklüftete Hügellandschaft, aus der grauweiße Gräber aufragten wie abgebrochene Knochen. Ein schwarzer Grabstein tauchte drohend vor ihr auf. Unregelmäßige Buchstaben waren in die düstere Vorderseite gemeißelt: CLARISSAMORGENSTERN , geb. 1991, gest. 2007. Unter den Worten befand sich die ungelenke Kinderzeichnung eines Schädels mit gähnend schwarzen Augenhöhlen. Clary stieß einen Schrei aus und wich taumelnd zurück.
Luke fing sie auf und hielt sie an den Schultern. »Clary, was ist los? Was hast du?«
Clary zeigte auf das Grab. »Da … sieh nur…« Doch das Bild hatte sich in Luft aufgelöst. Vor ihr lag eine grüne, ebene Grasfläche, mit den weißen Mausoleen in sauber angeordneten Reihen. Clary wirbelte zu Luke herum. »Ich habe gerade meinen eigenen Grabstein gesehen«, murmelte sie. »Darauf stand, dass ich sterben würde … noch in diesem Jahr.« Sie erschauderte.
Luke zog ein bedenkliches Gesicht. »Das sind die ersten Auswirkungen des Seewassers«, sagte er. »Du beginnst zu halluzinieren. Komm, wir müssen weiter - uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Jace marschierte mit Simon die Treppe hinauf und durch einen kurzen Flur, von dem auf beiden Seiten mehrere Türen abgingen. Mit unvermindertem Tempo hielt er auf eine der Türen zu und stieß sie mit gestrecktem Arm auf. »Hier rein«, sagte er mit finsterer Miene und schob Simon durch den Türrahmen. Dahinter lag ein Raum, der Simon an eine Bibliothek erinnerte: lange Reihen mit hohen Bücherregalen, mehrere Sofas und Ohrensessel. »Hier dürften wir einigermaßen ungestört sein…«, fügte Jace hinzu und verstummte plötzlich, als er jemanden bemerkte.
Eine kleine Gestalt erhob sich nervös aus einem der Sessel - ein Junge mit braunen Haaren und einer Brille. Auf seinem zarten Gesicht lag ein ernster Ausdruck und er hielt ein dickes Buch in der Hand. Simon war hinreichend mit Clarys Lesegewohnheiten vertraut, um selbst aus dieser Entfernung erkennen zu können, dass es sich um einen Manga-Band handelte.
Jace runzelte die Stirn. »Tut mir leid, Max, aber wir brauchen diesen Raum. Für ein Erwachsenengespräch.«
»Aber Izzy und Alec haben mich bereits aus dem Wohnzimmer verjagt, damit sie Erwachsenengespräche führen können«, protestierte Max. »Wo soll ich denn dann hingehen?«
Jace zuckte die Achseln. »Wie war’s mit deinem Zimmer?« Dann zeigte er mit dem Daumen auf die Tür. »Tu mal was für dein
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