Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Doppeltür am hinteren Ende des Raums und seine Augen glitzerten herausfordernd. »Komm schon, Vampir«, sagte er in einem Ton, der Simon das deutliche Gefühl vermittelte, dass eine Weigerung vermutlich zu irgendeiner Form von Gewalt führen würde. »Zeit für ein Schwätzchen.«
3
A MATIS
Am späten Nachmittag hatten Luke und Clary den See weit hinter sich gelassen und hasteten durch eine scheinbar endlose, mit hohem Gras bewachsene Ebene. In regelmäßigen Abständen erhoben sich aus den Wiesenflächen steile Hügel mit schwarzen Felsen und Clary war vom stundenlangen Auf- und Abklettern inzwischen sichtlich erschöpft. Sie rutschte mit ihren Schuhen auf dem feuchten Gras ständig aus, als wäre es eine schmierige Marmorfläche, und als sie endlich einen schmalen Feldweg erreichten, bluteten ihre mit Grasflecken übersäten Hände aus mehreren Wunden.
Luke marschierte entschlossenen Schrittes vor ihr her, deutete gelegentlich auf irgendeine Sehenswürdigkeit und fügte mit düsterer Stimme ein paar kurze Erläuterungen hinzu, als sei er der deprimierteste Reiseleiter der Welt. »Wir haben gerade die Brocelind-Ebene durchquert«, sagte er, als sie wieder einmal auf einem Hügel standen und in westlicher Richtung ein dunkles Dickicht hoher Bäume sahen, hinter denen die Sonne bereits tief über dem Horizont stand. »Das ist der Wald. Früher waren die Tiefebenen des Landes fast vollständig von Wäldern bedeckt, doch große Teile wurden gerodet, um Platz für die Stadt zu schaffen - und um die Wolfsrudel und Vampirnester zu vertreiben, die sich dort angesiedelt hatten. Der Brocelind-Wald war schon immer ein Zufluchtsort für Schattenweltler.«
Schweigend folgten Luke und Clary der Schotterstraße, die mehrere Kilometer parallel zum Waldrand verlief und dann eine scharfe Kurve machte. Die Bäume schienen schlagartig zu verschwinden, als ein Gebirgsgrat über ihnen aufragte. Nachdem sie um den Felsvorsprung eines steilen Hügels gebogen waren, musste Clary erstaunt blinzeln: Wenn ihre Augen sie nicht täuschten, lagen dort unten Häuser. Kleine weiße Häuser, ordentlich aufgereiht wie in einem Märchendorf. »Wir sind da!«, rief sie und stürmte los. Erst als ihr auffiel, dass Luke nicht länger an ihrer Seite war, hielt sie inne.
Clary drehte sich um und sah, dass er in der Mitte der staubigen Straße stand und den Kopf schüttelte. »Nein«, sagte er, während er sich in Bewegung setzte, um zu ihr aufzuschließen. »Das ist nicht Alicante.«
»Dann ist es eine andere Stadt? Du hast doch gesagt, es gäbe hier in der Nähe keine Ortschaften …«
»Das ist ein Friedhof - Alicantes Stadt der Gebeine. Oder hast du geglaubt, die Stille Stadt in New York wäre unsere einzige Ruhestätte?« Lukes Ton klang traurig. »Dies ist die Totenstadt, in der all diejenigen beigesetzt werden, die in Idris sterben. Aber das wirst du gleich sehen. Wir müssen nämlich durch die Nekropole hindurch, um nach Alicante zu kommen.«
Seit jener Nacht, in der Simon gestorben war, hatte Clary keinen Friedhof mehr betreten und die Erinnerung daran jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken, während sie die schmalen Wege passierten, die sich wie weiße Bänder zwischen den Mausoleen hindurchwanden. Irgendjemand kümmerte sich hingebungsvoll um die Grabstätten: Der Marmor glänzte wie frisch poliert und der Rasen war sorgfältig geschnitten. Auf manchen Grabplatten lagen weiße Blumen, die Clary zunächst für Lilien hielt. Doch sie verströmten einen würzigen, unbekannten Duft, der in ihr die Frage weckte, ob es sich vielleicht um Pflanzen handelte, die nur in Idris wuchsen. Jedes der Mausoleen wirkte wie ein gedrungenes Haus; manche besaßen kleine Metall- oder Gittertore und über den Eingängen waren die Namen der Schattenjägerfamilien in den Marmor gemeißelt. CARTWRICHT . MERRYWEATHER . HIGH - TOWER . BLACKWELL . MIDWINTER . Vor einer Grabstätte blieb Clary stehen: HERONDALE.
Langsam drehte sie sich zu Luke um. »Das war der Name der Inquisitorin.«
»Stimmt. Das hier ist die Gruft ihrer Familie. Sieh mal.« Er zeigte auf die weißen Buchstaben, die neben der Tür in das graue Gestein gemeißelt waren: MARCUSHERONDALE . STEPHENHERONDALE . Beide waren im selben Jahr gestorben. Clary spürte einen Stich, einen Anflug von Mitleid, den sie nicht unterdrücken konnte, sosehr sie die Inquisitorin auch gehasst haben mochte - den Ehemann und den Sohn zu verlieren und dann auch noch so kurz
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