Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Aufmerksamkeit zu erregen«, redete Alec ungerührt weiter. »Außerdem ist sie das einzige Mädchen in der Familie und muss ständig beweisen, wie tough sie ist. Oder zumindest glaubt sie das.«
»Vielleicht versucht sie aber auch, die Aufmerksamkeit von dir abzulenken«, meinte Simon geistesabwesend. »Du weißt schon: Weil deine Eltern ja nicht wissen, dass du schwul bist …«
Alec blieb derart ruckartig stehen, dass Simon fast in ihn hineingelaufen wäre. »Nein, sie wissen es nicht, aber offensichtlich alle anderen«, stieß er hervor.
»Mit Ausnahme von Jace«, sagte Simon. »Er weiß es nicht, oder?«
Alec holte tief Luft. Er war blass im Gesicht, dachte Simon, aber vielleicht lag es auch nur am Mondlicht, das der kompletten Umgebung sämtliche Farbe zu entziehen schien. Alecs Augen wirkten fast schwarz. »Ich wüsste wirklich nicht, was dich das angeht. Es sei denn, du versuchst, mir zu drohen«, sagte er düster.
»Dir zu drohen?« Simon starrte ihn verblüfft an. »Nein, das hatte ich nicht vor…«
»Und was soll das dann?«, fragte Alec und in seiner Stimme schwang eine plötzliche, offene Verletzlichkeit mit, die Simon bestürzte. »Warum hast du dann überhaupt davon angefangen?«
»Weil du mich die meiste Zeit zu hassen scheinst«, erwiderte Simon. »Keine Sorge, ich nehme das nicht persönlich, obwohl ich dir mal das Leben gerettet habe. Aber du scheinst die ganze Welt zu hassen. Im Grunde haben wir beide nichts gemein. Aber ich sehe, wie du Jace anschaust, und dann sehe ich mich, wie ich Clary anschaue, und dann wird mir klar, dass wir vielleicht doch etwas gemein haben. Und vielleicht trägt das ja dazu bei, dass du mich ein bisschen weniger hasst.«
»Dann wirst du es Jace also nicht erzählen?«, fragte Alec. »Ich meine … du hast Clary gesagt, was du für sie empfindest, und …«
»Und das war keine gute Idee«, erklärte Simon. »Inzwischen frage ich mich, wie man nach so einem Bekenntnis wieder zur Normalität zurückkehren soll. Und ob wir jemals wieder Freunde sein können oder ob unsere Freundschaft zerbrochen ist. Nicht ihretwegen, sondern meinetwegen. Vielleicht wäre es etwas anderes, wenn ich jemand Neues fände …«
»Jemand Neues«, wiederholte Alec. Er hatte sich hastig wieder in Bewegung gesetzt und starrte missmutig vor sich hin.
Simon schloss eilig zu ihm auf. »Du weißt schon, was ich meine. Ich glaube nämlich, dass Magnus Bane dich wirklich mag. Und er ist ziemlich cool. Jedenfalls veranstaltet er großartige Partys. Auch wenn ich beim letzten Mal in eine Ratte verwandelt wurde.«
»Danke für den Tipp«, erwiderte Alec trocken. »Aber ich glaube nicht, dass er mich wirklich so sehr mag. Als er zum Institut kam, um das Portal zu öffnen, hat er kaum ein Wort mit mir gewechselt.«
»Vielleicht solltest du ihn mal anrufen«, schlug Simon vor und versuchte, nicht allzu lange darüber nachzudenken, wie merkwürdig es war, einem Dämonenjäger Ratschläge für eine mögliche Beziehung mit einem Hexenmeister zu erteilen.
»Geht nicht«, sagte Alec. »In Idris gibt’s kein Telefon. Ach, ist ja sowieso egal.« Abrupt blieb er stehen. »Wir sind da. Das hier ist die Garnison.«
Vor den beiden Jungen ragte eine hohe Mauer mit einem gewaltigen Doppeltor auf, dessen massives Holz mit verschlungenen, eckigen Runenmustern bedeckt war. Obwohl Simon die Runen nicht wie Clary lesen konnte, spürte er, wie verwirrend sie in ihrer Vielschichtigkeit waren und dass sie ein enormes Gefühl der Macht verströmten. Die beiden Flügel des Tors wurden von steinernen Engelsstatuen flankiert, in deren wunderschönen Gesichtern ein entschlossener, wilder Ausdruck lag. Jeder der Engel hielt ein Schwert in der Hand und zu seinen Füßen wand sich eine sterbende Kreatur - eine Mischung aus Ratte, Fledermaus und Echse, mit bösartig spitzen Zähnen. Simon betrachtete die Szenerie eine ganze Weile. Ihm war klar, dass es sich um Dämonen handelte - aber genauso gut hätten es auch Vampire sein können.
Alec stieß das schwere Holztor auf und bedeutete Simon, als Erster hindurchzugehen. Nachdem Simon das Tor passiert hatte, schaute er sich blinzelnd um. Seit seiner Verwandlung zum Vampir hatte sich seine Nachtsicht derart verbessert, dass er normalerweise jedes winzige Detail mit laserscharfer Genauigkeit erkennen konnte. Doch die Dutzenden von Fackeln, die den Weg zu den Türen des Garnisonsgebäudes säumten, waren aus Elbenlicht gefertigt und ihr grelles weißes Licht ließ sämtliche
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