Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
versprechen: Ich schwöre, ich werde dir kein Haar krümmen und nicht versuchen, dich aufzuspüren, wenn du mir deinerseits versprichst, dass du dich verstecken wirst, sobald Aldertree dich wieder freigelassen hat. Wenn du versprichst, dass du fortgehen wirst… so weit fort, dass niemand dich jemals finden wird. Und dass du zu niemandem mehr Kontakt aufnimmst, den du während deines irdischen Lebens kennengelernt hast. Ich finde, das ist ein faires Angebot.«
Doch Simon schüttelte bereits den Kopf. »Ich kann meine Familie nicht im Stich lassen. Oder Clary.«
Raphael stieß ein gereiztes Schnauben hervor. »Sie sind nicht länger Teil dessen, was du jetzt bist. Du bist ein Vampir.«
»Aber ich will kein Vampir sein«, protestierte Simon.
»Sieh dich doch mal an - du Jammerlappen«, erwiderte Raphael. »Dabei wirst du niemals krank werden, niemals sterben, immer stark sein und auf ewig jung bleiben. Du wirst niemals altern. Worüber beschwerst du dich also?«
Auf ewig jung, dachte Simon. Das klang zwar gut, aber wollte er wirklich für immer sechzehn bleiben? Es wäre etwas anderes, mit fünfundzwanzig nicht mehr zu altern, aber mit sechzehn? War es wirklich erstrebenswert, für immer so schlaksig zu sein und sich niemals zu seinem wahren Ich zu entwickeln, in seinen wahren Körper hineinzuwachsen? Ganz abgesehen von der Tatsache, dass er mit diesem Äußeren niemals eine Bar betreten und einen Drink bestellen konnte. Niemals. In aller Ewigkeit nicht.
»Und du brauchst nicht einmal das Licht der Sonne aufzugeben«, fügte Raphael hinzu.
Aber Simon hatte keine Lust, dieses Thema noch mal anzuschneiden. »Als ich im Hotel Dumort war, hab ich gehört, was die anderen sich über dich erzählt haben. Ich weiß, dass du jeden Sonntag deine Goldkette mit dem Kreuz anlegst und deine Familie besuchst. Und ich wette, die weiß nicht mal, dass du ein Vampir bist. Also sag du mir nicht, ich solle einfach alle Menschen aus meinem bisherigen Leben zurücklassen. Das werde ich nicht tun und ich werde dir das auch nicht vorgaukeln«, konterte er.
Raphaels Augen glitzerten. »Was meine Familie glaubt, spielt keine Rolle. Es zählt nur das, was ich selbst glaube. Was ich weiß. Ein wahrer Vampir weiß, dass er tot ist. Und er akzeptiert seinen Tod. Doch du … du glaubst, du wärest noch immer einer der Lebenden. Und genau das macht dich so gefährlich. Du willst nicht akzeptieren, dass du nicht länger am Leben bist.«
Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, als Clary die Eingangstür von Amatis’ Haus hinter sich verriegelte. Müde schloss sie die Augen, lehnte sich gegen die Tür und verweilte einen langen Moment im halbdunklen Flur. Sie spürte die Erschöpfung in allen Gliedern und ihre Beine schmerzten höllisch.
»Clary?« Amatis’ drängende Stimme schnitt durch die Stille. »Clary, bist du da?«
Clary rührte sich nicht von der Stelle, hielt die Augen geschlossen und gab sich einen Moment der Ruhe und Dunkelheit hin. Mit jeder Faser ihres Körpers sehnte sie sich nach ihrem Zuhause - sie verlangte so sehr danach, dass sie glaubte, die metallische Luft von Brooklyns Straßen fast auf der Zunge schmecken zu können. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihre Mutter … wie sie auf ihrem Malschemel saß, während gedämpftes hellgelbes Licht durch die geöffneten Fenster in die Wohnung fiel und die Leinwand erhellte. Eine Woge des Heimwehs erfasste Clary und versetzte ihr einen Stich ins Herz.
»Clary.« Die Stimme klang nun viel näher. Ruckartig riss Clary die Augen auf. Amatis stand unmittelbar vor ihr, die grauen Haare streng nach hinten gekämmt und die Hände in die Hüften gestemmt. »Dein Bruder ist zu Besuch gekommen. Erwartet in der Küche auf dich.«
»Jace ist hier?« Clary versuchte mit Macht, sich ihre Wut und Überraschung nicht anmerken zu lassen. Es hatte keinen Zweck, vor Lukes Schwester die Beherrschung zu verlieren.
Amatis musterte sie neugierig. »Hätte ich ihn denn nicht hereinlassen sollen? Ich dachte, du wolltest ihn unbedingt sehen.«
»Doch, doch, ist schon okay«, sagte Clary, weiterhin um einen ruhigen Ton bemüht. »Ich bin einfach nur müde.«
»Ach.« Amatis warf ihr einen Blick zu, als würde sie ihr nicht glauben. »Also gut, ich bin oben, falls du mich brauchst. Ich werde mich etwas hinlegen.«
Clary konnte sich zwar nicht vorstellen, weshalb sie Amatis brauchen sollte, doch sie nickte und trottete dann den Flur entlang in die hell erleuchtete Küche. Auf dem
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