Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
riss; die auf den Boden auftreffenden Tropfen verwandelten sich in winzige Schlangen aus Obsidian, die zischend im Gebüsch verschwanden.
Dann nahm sie das Schwert in beide Hände und hob es in die Höhe. Blut rann wie schwarzer Teer über ihre bleichen Handgelenke und Unterarme. Mit einem spöttischen Grinsen zerbrach sie die Klinge in der Mitte, woraufhin die eine Hälfte zu schimmerndem Pulver zerbröselte und die andere — das Heft und ein spitzer, abgebrochener Klingenrest — dunkel zuckte wie eine unter Asche begrabene Flamme.
Lilith lächelte. »Armer, kleiner Michael«, höhnte sie. »Er war schon immer schwach.«
Jace stand keuchend da, mit schweißfeuchtem Haar, das ihm an der Stirn klebte, die Hände in die Seiten gedrückt. »Du und deine Prahlerei, wem du schon alles begegnet bist«, schnaubte er. »›Ich habe Michael gekannt‹, ›Ich war mit Samael zusammen‹, ›Der Erzengel Gabriel hat mir die Haare gemacht‹. Das ist ja wie Ich gehöre zur Band, nur mit Gestalten aus der Bibel.«
Das war typisch Jace, dachte Simon — Jace, der sich tapfer und sarkastisch gab, weil er glaubte, dass Lilith ihn jeden Moment töten würde, und weil er auf genau diese Weise abtreten wollte, furchtlos und aufrecht. Wie ein Krieger. So wie es sich für einen Schattenjäger gehörte. Sein Totengesang würde seine charakteristischen Eigenschaften zusammenfassen: Witze und spöttische Bemerkungen und vorgetäuschte Arroganz und dieser Ausdruck in den Augen, der zu sagen schien: Ich bin besser als du. Allerdings hatte Simon sich dies bisher nie klargemacht.
»Lilith«, fuhr Jace fort und ließ den Namen dabei wie einen Fluch klingen. »Ich habe dich studiert. In der Schule. Der Himmel hat dich mit Unfruchtbarkeit gestraft. Eintausend Kinder und jedes einzelne von ihnen ist gestorben. Habe ich recht?«
Lilith hielt den dunkel schimmernden Schwertstumpf in der Hand und musterte ihn mit ausdrucksloser Miene. »Sei lieber vorsichtig, kleiner Schattenjäger.«
»Oder was? Wirst du mich sonst töten?«, höhnte Jace. Blut tropfte von der Schnittwunde auf seiner Wange, aber er machte keine Anstalten, es wegzuwischen. »Nur zu!«
Nein. Simon versuchte, einen Schritt zu gehen, doch seine Knie gaben nach und er stürzte mit den Händen zuerst auf den Boden. Bewusst holte er tief Luft — er brauchte den Sauerstoff zwar nicht, aber irgendwie half er ihm, ruhiger zu werden. Er streckte die Arme aus, klammerte sich an den Rand des Betonsockels und zog sich daran hoch, während ein rasender Kopfschmerz gegen seine hintere Schädeldecke wummerte. Aber ihm war klar, dass er es nicht rechtzeitig schaffen würde — dafür reichte die Zeit nicht. Denn Lilith brauchte nur die zerbrochene Klinge vorwärtszustoßen …
Was sie jedoch nicht tat. Obwohl sie den Schattenjäger finster fixierte, rührte sie keinen Finger.
Und plötzlich leuchteten Jace’ Augen auf und seine zusammengepressten Lippen entspannten sich. »Du kannst mich nicht töten«, verkündete er mit erhobener Stimme. »Du hast es eben selbst gesagt: Ich bin das Gegengewicht. Das Einzige, was ihn …« — er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Sebastians Glassarg — »… noch mit dieser Welt verbindet. Wenn ich sterbe, stirbt auch er. Habe ich recht?« Er trat einen Schritt zurück. »Ich könnte genauso gut von diesem Dach springen. Mich umbringen. Diesem ganzen Zirkus sofort ein Ende setzen.«
Zum ersten Mal wirkte Lilith ernsthaft beunruhigt. Ihr Kopf peitschte von links nach rechts und ihre Schlangenaugen zuckten hin und her, als würde sie den Wind nach Informationen abtasten. »Wo ist sie? Wo ist das Mädchen?«
Mit einer lässigen Handbewegung wischte Jace sich den Schweiß und das Blut weg, das von seiner aufgeplatzten Lippe zu seinem Kinn hinablief, und grinste die Dämonin spöttisch an: »Vergiss es. Ich hab sie nach unten geschickt, als du nicht aufgepasst hast. Sie ist fort, vor dir in Sicherheit gebracht.«
»Du lügst«, fauchte Lilith.
Jace machte einen weiteren Schritt rückwärts. Ihn trennten nur noch wenige Meter von der niedrigen Mauer, die die Dachkante des Gebäudes einfasste. Simon wusste zwar, dass Jace eine Menge Dinge überleben konnte, aber ein Sturz von einem vierzigstöckigen Hochhaus wäre selbst für ihn ein wenig zu viel.
»Du vergisst, dass ich dabei war«, knurrte Lilith. »Ich habe gesehen, wie du zu Boden gegangen und gestorben bist. Wie Valentin um dich geweint hat. Und dann habe ich gesehen, wie der Engel Clarissa gefragt
Weitere Kostenlose Bücher