Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
mit einer total merkwürdigen, besänftigenden Stimme auf sie eingeredet und ihr erklärt, es wäre nichts geschehen und es sei alles nur ein Traum.«
»Und sie hat dir geglaubt.«
»Ja, das hat sie«, bestätigte Simon widerstrebend.
»Natürlich hat sie dir geglaubt«, feixte Raphael. »Weil du ein Vampir bist. Das ist nun mal eine unserer besonderen Gaben. Unser encanto. Unsere Faszination. Unsere Überredungskunst, wie du es nennen würdest. Du kannst einen Menschen von fast allem überzeugen, wenn du lernst, diese Fähigkeit richtig einzusetzen.«
»Aber ich wollte sie nicht bei ihr anwenden. Sie ist meine Mutter! Gibt es irgendeine Möglichkeit, diesen Zauber wieder rückgängig zu machen — irgendeinen Weg, das Ganze in Ordnung zu bringen?«
»Damit sie dich wieder hasst? Und dich wieder für ein Monster hält? Das ist eine sehr merkwürdige Definition von ›In-Ordnung-Bringen‹.«
»Ist mir egal«, schnaubte Simon. »Gibt es eine solche Möglichkeit?«
»Nein«, erwiderte Raphael heiter. »Die gibt es nicht. Und natürlich würdest du das alles auch längst wissen, wenn du deine eigene Art nicht so verachten würdest.«
»Ja, klar: Tu nur so, als ob ich euch abgelehnt hätte. Ist ja nicht so, als ob du versucht hättest, mich umzubringen.«
Erneut zuckte Raphael die Achseln. »Das war rein geschäftlich. Nichts Persönliches.« Er lehnte sich gegen das Geländer und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine schwarzen Motorradhandschuhe schimmerten im Mondlicht. Simon musste zugeben, dass er ziemlich cool aussah. »Bitte sag mir, dass du mich nicht nur deshalb hast herkommen lassen, um mir eine äußerst ermüdende Story von deiner Schwester zu erzählen.«
»Mutter«, korrigierte Simon.
Raphael machte eine abschätzige Handbewegung. »Von wem auch immer. Irgendein weibliches Wesen in deinem Leben hat dich zurückgewiesen. Und das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, so viel kann ich dir verraten. Warum belästigst du mich überhaupt damit?«
»Ich wollte wissen, ob ich im Dumont unterkommen kann«, stieß Simon hastig hervor, damit er nicht nach der Hälfte des Satzes einen Rückzieher machen konnte. Es war kaum zu fassen, dass er diese Frage wirklich stellte. Seine Erinnerungen an das Vampirhotel waren eine Aneinanderreihung von Blut und Angst und Schmerz. Aber immerhin bot es eine Zufluchtsstätte, einen Ort, an dem er bleiben konnte und wo niemand nach ihm suchen würde — was bedeutete, dass er nicht nach Hause zurückkehren musste. Schließlich war er ein Vampir. Und es war dämlich, sich vor einem Hotel voller anderer Vampire zu fürchten. »Ich kann sonst nirgendwohin.«
Raphaels Augen glitzerten. »Aha«, sagte er, mit einem leichten Triumph in der Stimme, der Simon nicht besonders gefiel. »Jetzt willst du also etwas von mir.«
»Schätze schon. Obwohl es ziemlich beängstigend ist, dass du dich darüber so freust.«
Raphael schnaubte verächtlich. »Wenn du im Dumont bleiben willst, wirst du mich nicht länger mit Raphael anreden, sondern mit ›Gebieter‹, ›Sir‹ oder ›Großer Clanführer‹.«
Simon wappnete sich. »Und was ist mit Camille?«
Betroffen zuckte Raphael zusammen. »Wie meinst du das?«
»Du hast mir immer erzählt, dass nicht du das eigentliche Oberhaupt des Vampirclans wärst«, meinte Simon vage. »Und in Idris hast du erklärt, es sei jemand namens Camille. Du hast gesagt, sie sei noch nicht nach New York zurückgekehrt. Aber ich nehme doch mal an, dass sie die Große Gebieterin oder was auch immer sein wird, wenn sie wieder in der Stadt ist?«
Raphaels Miene verdüsterte sich. »Deine Art von Fragen gefällt mir nicht, Tageslichtler.«
»Aber ich habe das Recht, diese Dinge zu erfahren.«
»Nein, hast du nicht«, konterte Raphael. »Du kommst zu mir und fragst mich, ob du in meinem Hotel bleiben darfst. Aber nur, weil du sonst nirgends hinkannst. Nicht weil du mit anderen deiner Art zusammen sein willst. Du meidest uns.«
»Was — wie ich bereits sagte — unter anderem daran liegt, dass du versucht hast, mich zu töten.«
»Das Dumont ist keine öffentliche Einrichtung für unentschlossene Vampire«, fuhr Raphael fort. »Du lebst unter Menschen, du wandelst bei Tage, du spielst in deiner dämlichen Band — jaja, glaub bloß nicht, ich wüsste das nicht. In jeder erdenklichen Hinsicht weigerst du dich zu akzeptieren, dass du ein Vampir bist. Und solange sich daran nichts ändert, bist du im Dumont nicht willkommen.«
Simon dachte an
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