Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
eigenen Mals und Erinnerung an den Engel, dessen Blut durch ihrer beider Adern floss. »lch möchte dich nicht verlieren.«
Jace schob seine Hand nach unten, um den Knoten in ihrer Bluse zu lösen. Seine andere Hand, mit der er sich auf der Matratze abstützte, streifte das kalte Metall des Jagddolches — die Waffe musste sich mit dem restlichen Inhalt des Kästchens über das Bett verteilt haben. »Das wird niemals geschehen«, murmelte er.
Mit leuchtenden Augen schaute sie zu ihm auf. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«
Seine Hand schloss sich um den Dolchgriff. Das Mondlicht, das durch das Fenster hereinfiel, spiegelte sich in der Klinge, als er die Waffe hob. »Ich weiß es einfach«, sagte er und ließ den Dolch herabsausen. Die Klinge durchbohrte Clarys Brust, als wäre sie aus Papier. Und als sich ihr Mund zu einem überraschten Laut öffnete und Blut die Vorderseite ihrer weißen Bluse rot färbte, dachte er, Oh Gott, bitte nicht schon wieder.
Das Erwachen aus diesem Albtraum erschien ihm jedes Mal wie ein Sturz durch eine Glasscheibe: Die rasierklingenscharfen Scherben schnitten ihm förmlich durch die Seele, als er sich ruckartig aufsetzte und keuchend nach Luft schnappte. Er rollte sich aus dem Bett, einem Instinkt folgend, der ihn möglichst schnell möglichst weit wegbringen sollte, und schlug mit Händen und Knien auf dem harten Steinboden auf. Kalte Nachtluft strömte durch das offene Fenster herein und ließ ihn schaudern, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass auch die letzten, zäh haftenden Fetzen seines Albtraums fortgeweht wurden.
Jace starrte auf seine Hände — nicht ein Tropfen Blut klebte daran. Das Bett war vollkommen zerwühlt, die Decken und Laken von seinem unruhigen Schlaf zu einem wirren Knäuel verdreht. Doch das Kästchen mit den Briefen und Besitztümern seines Vaters stand unangetastet auf dem Nachttisch, dort, wo er es vor dem Schlafengehen abgestellt hatte.
In den ersten Nächten, in denen ihn dieser Albtraum heimgesucht hatte, war er schweißüberströmt aufgewacht und hatte sich übergeben müssen. Inzwischen achtete er sorgfältig darauf, schon Stunden vor dem Zubettgehen nichts mehr zu essen; daher rächte sich sein Körper an ihm, indem er ihn mit Krämpfen und Fieberanfällen schüttelte. Und auch jetzt erfasste ihn ein solcher Krampf und er krümmte sich keuchend und trocken würgend zusammen, bis der Anfall vorüber war.
Als der Krampf nachließ, presste er die Stirn auf den kühlen Steinboden. Kalter Schweiß rann ihm über den Rücken, das T-Shirt klebte an seiner Haut und er fragte sich erschöpft, ob die Albträume ihn eines Tages umbringen würden. Er hatte schon alles versucht, um sich dagegen zu schützen — Schlaftabletten und Schlummertrünke, Runen für Nachtruhe und friedliche Stunden. Doch nichts half. Die Albträume sickerten wie Gift in seinen Verstand und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.
Selbst tagsüber fiel es ihm schwer, Clary direkt anzusehen. Sie hatte ihn immer auf eine Weise durchschaut, wie niemand anderes es konnte, und er mochte sich gar nicht vorstellen, was sie wohl denken würde, wenn sie vom Inhalt seiner Albträume wüsste. Mühsam rollte er sich auf die Seite und starrte auf das Kästchen auf dem Nachttisch, in dessen silberner Oberfläche sich das Mondlicht brach. Und er dachte an Valentin. Valentin, der die einzige Frau, die er je geliebt hatte, gequält und eingesperrt hatte und der seinen Sohn — seine beiden Söhne — gelehrt hatte, dass lieben zerstören heißt.
Seine Gedanken überschlugen sich, als er die Worte wieder und wieder murmelte — sie waren für ihn zu einer Art Mantra geworden, und wie bei jedem Mantra hatten die einzelnen Worte im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung verloren.
Ich bin nicht wie Valentin. Ich will nicht wie er sein. Ich werde nicht wie er sein. Nein, niemals.
Vor seinem inneren Auge sah er Sebastian — Jonathan, genau genommen —, seinen sogenannten Bruder, der ihn hämisch angegrinst hatte, während seine schwarzen Augen unter den wirren silberweißen Haaren vor gnadenloser Schadenfreude funkelten. Und er sah wieder, wie seine eigene Klinge tief in Jonathans Rücken drang und wie Jonathans Körper den Abhang hinunter in den Fluss rutschte, wo sich sein Blut mit dem Unkraut und Gras der Uferböschung mischte.
Ich bin nicht wie Valentin.
Er hatte es keine Sekunde bedauert, dass er Jonathan getötet hatte. Und er würde es jederzeit wieder tun.
Ich will nicht wie er
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