Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
Mutter im Koma und daran, wie sie bewusstlos und nicht ansprechbar in ihrem Kokon aus Schläuchen und Kabeln gelegen hatte, traf Clary wie ein Schlag ins Gesicht. Sie hielt den Atem an, im Versuch, dem typischen Geruch der Krankenhausluft noch einen Moment zu entgehen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jocelyn, klappte die Kapuze ihres Mantels herab und musterte Clary besorgt aus ihren grünen Augen.
Clary nickte, zog unbehaglich die Schultern hoch und schaute sich um. Die Eingangshalle war eine Orgie aus kaltem Marmor, Metall und Kunststoff. Hinter dem großen Informationstresen liefen mehrere Frauen, vermutlich Krankenschwestern, hin und her; Schilder wiesen den Weg zur Intensivstation, zur Radiologie, Chirurgischen Onkologie, Pädiatrie und so weiter. Die Cafeteria hätte Clary vermutlich im Schlaf gefunden — dort hatte sie für Luke derart viele Becher lauwarmen Kaffee geholt, dass man damit vermutlich den Reservoir-See im Central Park hätte auffüllen können.
»Darf ich mal durch?« Eine schlanke Schwester schob einen alten Mann in einem Rollstuhl so dicht an ihnen vorbei, dass sie Clary fast über die Zehen gerollt wäre.
Clary schaute ihr nach — da war irgendetwas gewesen … ein Schimmern …
»Du sollst doch nicht starren, Clary«, stieß Jocelyn leise hervor, legte einen Arm um Clarys Schultern und drehte sie so, dass sie beide in Richtung der Türen schauten, durch die man zum Wartezimmer der Blutabnahmestation gelangte. Clary konnte ihre Spiegelbilder im dunklen Glas der Türen erkennen. Obwohl sie noch immer einen halben Kopf kleiner war als ihre Mutter, sahen sie einander doch ähnlich! Früher hatte sie bei derartigen Kommentaren immer nur die Achseln gezuckt: Jocelyn war wunderschön und sie eben nicht. Aber die Form ihrer Augen und ihres Mundes war identisch, genau wie ihre roten Haare, die grünen Augen und die schlanken Hände. Wie kam es nur, dass sie so wenig von Valentins Äußerem geerbt hatte, während ihr Bruder ihm so ähnelte, fragte Clary sich. Er hatte die hellen Haare und die beunruhigend dunklen Augen ihres Vaters besessen. Obwohl … wenn sie genauer hinsah, glaubte sie ein wenig von Valentin in den entschlossen-eigensinnigen Konturen ihres Kinns wiederzuerkennen …
»Jocelyn.«
Clary und Jocelyn wirbelten herum.
Vor ihnen stand die Schwester, die den alten Mann im Rollstuhl geschoben hatte. Sie wirkte schlank und jung und besaß dunkle Haut und dunkle Augen …
Doch als Clary genauer hinschaute, fiel der Zauberglanz von ihr ab: Es handelte sich noch immer um eine ranke, jugendlich wirkende Frau, aber ihre Haut schimmerte dunkelblau und ihre Haare, die zu einem Knoten hochgesteckt waren, leuchteten schneeweiß. Der blaue Farbton ihrer Haut bildete einen starken Kontrast zu ihrer hellrosa Schwesternkleidung.
»Clary, das ist Catarina Loss«, sagte Jocelyn. »Sie hat sich um mich gekümmert, als ich hier im Krankenhaus lag. Außerdem ist sie mit Magnus befreundet.«
»Sie sind eine Hexe!«, sprudelte Clary hervor; die Worte kamen ihr über die Lippen, ehe sie sich bremsen konnte.
»Pssst.« Die Hexe zog eine entsetzte Miene und funkelte dann Jocelyn an. »Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie erwähnt hätten, Ihre Tochter mitbringen zu wollen. Sie ist noch ein Kind!«
»Clarissa weiß sich zu benehmen. Nicht wahr?«, wandte Jocelyn sich mit strengem Blick an Clary.
Clary nickte. Natürlich hatte sie schon zuvor Hexenwesen gesehen, nicht nur Magnus, sondern auch während der Schlacht in Idris. Und sie hatte gelernt, dass alle Hexenwesen irgendein Merkmal besaßen, das sie als nicht menschlich kennzeichnete — beispielsweise Magnus’ Katzenaugen. Andere hatten Schwingen oder Schwimmhäute zwischen den Zehen oder klauenbewehrte Finger. Aber durchgehend blaue Haut zählte nicht zu den Dingen, die man mit Kontaktlinsen oder überdimensionierten Jacken kaschieren konnte. Catarina Loss war offensichtlich gezwungen, sich jeden Tag vor Verlassen der Wohnung in Zauberglanz zu hüllen, zumal sie in einem irdischen Krankenhaus arbeitete.
Die Hexe zeigte mit dem Daumen auf die Fahrstühle hinter ihr. »Kommen Sie — wir sollten die Angelegenheit möglichst schnell hinter uns bringen.«
Hastig folgten Clary und Jocelyn ihr zu den Aufzügen und stiegen in den nächstbesten Lift, der auf ihrem Stockwerk anhielt. Als sich die Türen zischend hinter ihnen geschlossen hatten, drückte Catarina auf einen Knopf, der mit einem schlichten L gekennzeichnet war. Eine Vertiefung in der
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