Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
erfahren haben, hat es ursprünglich fünf Platten gegeben. Durch einen dummen Zufall scheint eine davon auf dem Schwarzmarkt an jemand anderen verkauft worden zu sein. Jemand, der uns allen bekannt sein dürfte. Sein Name …«, er legte eine Kunstpause ein, »… ist Carl Friedrich von Humboldt.«
Wieder waren Ausrufe des Erstaunens zu hören, diesmal jedoch durchsetzt mit Flüchen. Jeder in diesem Raum kannte den Namen. Der Forscher – der Legende zufolge ein illegitimer Spross des großen Alexander von Humboldt – hatte sich in den vorangegangenen Jahren als zäher Widersacher erwiesen. Immer, wenn irgendwo eine neue Insel, ein unbekannter Stamm oder gar eine verschollen geglaubte Kultur entdeckt wurde, war Humboldt schon vor ihnen da gewesen. Sei es in Madagaskar, in Tasmanien oder auf den Osterinseln. Er hatte Grönland genauso bereist wie Indien, Afghanistan und den Hindukusch. Der Mann schien ein untrügliches Gespür für interessante Standorte und einen schier unersättlichen Hunger auf Abenteuer zu haben.
An sich war daran nichts Verwerfliches, Abenteurer gab es genug. Dieser Humboldt neigte jedoch dazu, seine Funde zu publizieren, und das National Geographie hatte bereits großes Interesse an seinen Berichten bekundet.
»Sie sehen also, mein lieber Pepper, wie wichtig der Faktor Zeit in diesem Fall ist. Wenn Humboldt Wind von der Sache bekommen hat, zählt jeder Tag.«
»Wenn der Mann wirklich an der Sache dran ist, dann sehe ich noch weniger Grund, jemanden wie mich auf diese Reise zu schicken. Humboldt ist ein Abenteurer, wie er im Buche steht. Ein Forscher von echtem Schrot und Korn. Zäh, skrupellos und absolut unberechenbar. Gegen einen solchen Konkurrenten hätte ich keine Chance.«
»Sie werden nicht allein sein«, sagte Vanderbilt und ein schwer zu deutendes Lächeln umspielte seinen Mund. »Ich werde Ihnen jemand zur Seite stellen, der es in Sachen Intelligenz und Durchtriebenheit durchaus mit Humboldt aufnehmen kann. Jemand, der sich an jedem Ort der Erde zurechtfindet und sich hervorragend zu verteidigen weiß. Ich wende mich nur an sie, wenn es um Aufträge von besonders heiklem Charakter geht. Sie arbeitet gerne im Verborgenen. Ihr Name ist Valkrys Stone.«
»Eine Frau?« Max glaubte, sich verhört zu haben.
»Ganz recht.« Vanderbilt verschränkte die Arme hinter dem Rücken und richtete seinen Blick hinüber zum Central Park. »Miss Stone arbeitet schon seit vielen Jahren für mich. Sie haben von ihr bislang noch nichts gehört, weil hierfür keine Notwendigkeit bestand. Sie schätzt es, unerkannt zu bleiben. Aber sie ist eine der Besten ihres Faches, das können Sie mir glauben.«
Max schwieg. Während er nach außen hin so tat, als würde er sich Vanderbilts Vorschlag durch den Kopf gehen lassen, überlegte er fieberhaft, wie er aus dieser unangenehmen Situation herauskam. Er war ein Stadtmensch, ein Stubenhocker, wenn man so wollte. Er liebte es, über fremde Länder zu berichten, aber selbst dorthin zu reisen war ihm ein Gräuel. Schon als Kind war ihm jede Ortsveränderung zuwider gewesen. Er zermarterte sich das Hirn, was sein Chef wohl als Entschuldigung durchgehen lassen würde. Das Dumme war: Ihm fiel nichts ein. Die Sekunden verrannen. Mit jedem Ticken der Wanduhr wurden die Blicke der Anwesenden bohrender. Endlich hielt Max es nicht mehr länger aus. Kleinlaut und mit einem ganz miesen Gefühl im Bauch sagte er: »Wenn es denn unbedingt sein muss …«
Der Zeitungsmogul lachte. »Nichts anderes habe ich von Ihnen erwartet, Pepper. Das ist der Geist, der in diesen heiligen Hallen weht. Lassen Sie uns doch mal über eine Gehaltserhöhung sprechen, wenn Sie wieder zurück sind.«
6
Einige Tage später, irgendwo in den peruanischen Anden …
Harry Boswell erwachte aus einem tiefen, unruhigen Schlaf. Er benötigte ein paar Sekunden, bis er seine Gedanken sortiert und sich vergewissert hatte, dass er immer noch eingesperrt war. Er stellte fest, dass er am Boden lag, vermutlich, weil er mal wieder aus seinem Bett gefallen war. Kein Wunder. Seit seiner Entführung konnte er nicht mehr richtig schlafen. Er wurde von Albträumen geplagt, die ihn selbst in den frühen Morgenstunden nicht zur Ruhe kommen ließen. Seine Liegestatt bestand nur aus einer schmalen, unbequemen Pritsche und einer groben Decke. Nichts, was man auch nur annähernd als Bett bezeichnen konnte. Das dünne Laken reichte bei Weitem nicht aus, ihn vor der feuchten Kälte zu schützen, die Nacht für
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