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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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organisieren, ja toll. Im Klartext hieß das, Einkäufe machen und den Laufburschen spielen.
    Er stand auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. War er eigentlich verrückt? Er hatte doch alles, was er brauchte, hier in Berlin. Eine Unterkunft, seine Bücher und Freunde. Er war kein schlechter Taschendieb, er hatte sein Auskommen. Und vor allem hatte er etwas, was kein Herr Humboldt und keine Charlotte Riethmüller ihm trotz ihres vielen Geldes je bieten konnten: Freiheit. Hier konnte er tun und lassen, wonach ihm der Sinn stand, konnte aufstehen und schlafen gehen, wann er wollte, und war sein eigener Herr. Ein unschätzbares Gut, wenn man es erst einmal verloren hatte.
    Warum hatte Humboldt ausgerechnet ihn ausgewählt? Es gab doch mit Sicherheit bessere Hilfskräfte für so ein Unternehmen. Was sollte er überhaupt hier?
    Oskar blieb stehen.
    Der Groschen war gefallen. Er würde nicht mitkommen.
    Die Wolken zogen rasch näher und löschten das verbliebene Tageslicht. Eine überwältigende Sehnsucht stieg in ihm auf. Was mochten seine alten Weggefährten wohl gerade treiben? Ob sie ihn vermissten? Siedend heiß fiel ihm ein, dass heute ja Freitag war. Der Abend ihres wöchentlichen »Clubtreffens«, wie sie es nannten. Es war alles so schnell gegangen, dass er nicht mal Zeit gefunden hatte, sich von ihnen zu verabschieden. Sie mussten ja denken, ihm sei sonst was zugestoßen. Vielleicht hatten sie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn zu finden.
    Er blickte zu der Wanduhr in der Ecke seines Zimmers. Kurz vor acht. Wie wäre es, wenn er einen kurzen Abstecher in die Innenstadt machen würde? Seinen Leuten Bescheid geben, ein, zwei Gläser mit ihnen trinken und erst dann in seine Bude heimkehren? Wie sehr er sich nach seinen Büchern sehnte! Komisch, die Helden in seinen Geschichten waren nie von Selbstzweifeln gequält. Für sie war immer alles ganz klar. Wie eine Eisenkugel auf einer schiefen Ebene folgten sie unbeirrbar ihrem Weg und überwanden auch die größten Hindernisse. Na ja, er war eben doch kein Held, sondern ein dummer Straßenjunge, der zu viel träumte.
    Um sicherzugehen, dass keiner sein Verschwinden bemerkte, legte er einige Kissen unter seine Bettdecke, bis es so aussah, als würde er schlafen, löschte das Licht und stieg aus dem Fenster.
    Langsam und leise wie ein Katze hangelte er sich entlang der Regenrinne nach unten. In der Wohnstube brannte noch Licht. Oskar warf einen Blick auf Humboldt, der an einem Tisch saß und an seinem Linguaphon herumbastelte. Eliza und Charlotte saßen daneben und unterhielten sich angeregt miteinander.
    Lautlos ließ er sich ins Tulpenbeet fallen, wischte sich den Dreck von den Händen und lief geduckt zur angrenzenden Mauer hinüber. Das Licht aus der Wohnstube warf lange Schatten über den Rasen. Jetzt war er ganz sicher: Ihn würde niemand vermissen.
    Plötzlich bemerkte er eine Bewegung neben sich im Gras. Wilma. Der kleine Vogel lief mit schnellen Schritten neben ihm her und beobachtete ihn mit schief gehaltenem Kopf. Ein fragender Ruf ertönte.
    »Psst.« Oskar blieb stehen. Er sah sich um, dann hockte er sich hin. »Verrat mich bloß nicht«, sagte er.
    Der Vogel quiekte und wackelte dabei mit seinen Stummelflügeln.
    »Was ich hier mache? Na, wonach sieht es denn aus? Ich gehe fort, das mache ich.« Er streichelte sanft über den Kopf des Vogels. Das Quieken ging in ein Gurren über.
    »Nein, ich werde es mir nicht noch einmal überlegen. Ich gehöre nicht hierher, verstehst du? Ich fühle mich wie das fünfte Rad am Wagen und habe deshalb entschieden, dass es besser ist, wenn ich gehe.«
    Der Kiwi piepste, als hätte er jedes Wort begriffen. Oskar musste lächeln. Wilma war ihm während der letzten Tage richtig ans Herz gewachsen. In ihr hatte er so etwas wie eine verwandte Seele gefunden. Im Grunde war sie genauso ein Außenseiter wie er. »Mach’s gut, meine kleine Freundin«, sagte er und streichelte ihr ein letztes Mal liebevoll über den Kopf. »Pass gut auf die anderen auf und halte die Einbrecher fern. Wirst du das für mich tun?«
    Wilma blickte ihn mit ihren großen Augen an.
    Er wandte sich ab, packte den unteren Ast einer Eiche und zog sich daran empor. Dann ergriff er den nächsten, schwang sich hinauf und kletterte immer höher. Als er auf Höhe der Mauerkrone war, stieg er hinüber. Er warf einen letzten Blick zurück zum Haus und den kleinen Kiwi unten im Garten, dann sprang er auf der anderen Seite hinab.

10
     
     
    Harry

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