Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
Knabberkram neben sich und umgeben von Krümeln. Wenn sie ihn dann ansprach, dauerte es meist eine Weile, bis er aus seinen Welten auftauchte. Oskar, Oskar.
Sie öffnete die Augen.
Der medizinische Automat stand unverändert an ihrer Seite. Das rote Licht auf seiner Brust war erloschen. Nur knapp fünf Zentimeter von ihrem Unterarm entfernt lag die Spritze in seiner Spinnenhand. Ein einziger kleiner Tropfen löste sich von der Nadel und fiel geräuschlos zu Boden.
Verwundert blickte sie sich um. Auch die anderen Automaten waren stehen geblieben, einschließlich der großen Wachroboter am Eingang. Bei keinem einzigen von ihnen brannte mehr das rote Licht.
»Was ist denn los?«, fragte Charlotte. »Haben die plötzlich ihre Meinung geändert?«
»Ich glaube, sie haben sich abgeschaltet«, sagte Océanne.
»Aber warum? Ich meine …«
»Vielleicht haben Oskar und Carl Friedrich Erfolg gehabt.«
»Meinst du wirklich?«, fragte Charlotte. »Das wäre zu schön, um wahr zu sein.«
In diesem Moment gingen die Lichter aus.
Oskar und Humboldt traten den Rückweg an.
Daron war tot. Abgekoppelt von der Energieversorgung war die Differenzmaschine nicht mehr als ein Haufen wertlosen Schrotts, unfähig zu denken, zu handeln oder jemanden zu bedrohen. Allerdings auch unfähig, die Lebenserhaltungssysteme aufrechtzuerhalten. Zuerst fiel die Belüftung aus, dann die Heizung und zuletzt das Licht. Stockschwarze Finsternis umgab sie.
Oskar hörte, wie Humboldt in seiner Manteltasche wühlte. Auf einmal flammte ein helles Licht auf. Ein Strahl aus gleißender Helligkeit zerteilte die Finsternis.
»Rimbaults Taschenlampe«, sagte Oskar. »Wo haben Sie die denn her?«
»Ausgeborgt«, sagte der Forscher mit einem Zwinkern. »Dachte, wir könnten sie vielleicht noch mal brauchen.«
»Sie sind ein vorausschauender Mann, Herr Humboldt.«
»Wenn du das sagst, ist es ein echtes Kompliment. Danke.«
Oskar fühlte sich geschmeichelt. Mit roten Ohren sagte er: »Meinen Sie, wir schaffen es, den weiten Weg zurückzulegen? Unsere Lasteneinheit ist beinahe Schrott.«
»Es dauert vielleicht etwas länger, aber es wird schon klappen. Wenn wir beide zusammen sind, gelingt uns alles. Wir sind Glückskinder, wusstest du das nicht?« Er lächelte Oskar an.
Oskar schwieg eine Weile, dann sagte er: »Was halten Sie von dem, was Daron vorhin gesagt hat? Meinen Sie, dass sie wirklich aus ihren Fehlern gelernt hat? Oder war das nur ein Ablenkungsmanöver, um uns die Kavallerie auf den Hals zu hetzen?«
»Schwer zu sagen. Ich bin überzeugt, dass es ihr Ziel war, selbst wie ein Mensch zu werden.« Er ging durch den engen Gang nach draußen. »Sie hat versucht, uns in jeder Hinsicht zu kopieren, bis hin zu dem Versuch, eigene Kinder zu bekommen.«
»Kinder?«
»Geschöpfe wie Cagliostro, die ihr treu ergeben waren und für die sie die Verantwortung übernehmen konnte. Auch wir wären zu ihren Kindern geworden, wenn wir sie hätten machen lassen.«
»Komische Vorstellung«, sagte Oskar. »Ich weiß nicht, was beunruhigender ist. Einen Menschen zu sehen, der sich wie eine Maschine benimmt, oder eine Maschine, die versucht, ein Mensch zu werden.«
»Beides hat keine Zukunft«, stellte Humboldt fest. »Es ist genauso unsinnig wie die Vorstellung, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist.«
Sie verließen den schmalen Durchgang und betraten die große Freitreppe. Ihr Roboter stand genau so da, wie sie ihn verlassen hatten. Im Schein der Taschenlampe wirkte er ziemlich ramponiert. Das Blech war verschrammt, ein Bein verbogen und am rechten Hüftgelenk hingen Kabel heraus. Die Maschine sah aus, als würde sie jeden Moment auseinanderfallen. Mit einem Ruck öffnete Humboldt die Klappe. »Es gibt da eine Sache, die mich traurig stimmt«, sagte er.
»Was denn?«
»Vermutlich wäre Daron wirklich in der Lage gewesen, der Menschheit zu neuer Blüte zu verhelfen.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst.«
»Oh doch, ich bin davon überzeugt. Noch ein paar Jahre Reife und Entwicklung und sie hätte die Weisheit besessen zu erkennen, dass ein Überleben nur in Form friedlicher Koexistenz möglich ist. Du ahnst gar nicht, wie schwer es mir gefallen ist, den Hebel umzulegen.«
Oskar schloss die Luke und schnallte sich an. »Und warum haben Sie es dann doch getan?«
»Weil Daron in ihrem Bestreben nach Perfektion genauso maßlos war wie in ihrem Willen nach Leben. Sie hat den menschlichen Geist in allen Einzelheiten kopiert,
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