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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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VERANTWORTUNG ALLEINE TRAGEN.«
    »Oh doch. Denn das ist genau das, was uns Menschen auszeichnet: Eigeninitiative. Die Fähigkeit, als Individuum zu entscheiden. Sollte es sich als Fehler herausstellen, dich abgeschaltet zu haben, dann werde ich eben damit leben müssen. Ich glaube aber nicht, dass es ein Fehler sein wird.« Er blickte in die Runde. »Denn weißt du, es gibt einen ganz entscheidenden Faktor, den du übersehen hast.«
    »WELCHEN?«
    »Zeit. Lebewesen benötigen Zeit, um sich zu entwickeln. Sie müssen lernen, mit ihren neu erworbenen Fähigkeiten umzugehen. Sie müssen lernen, diese mit Bedacht und Respekt anderen Lebensformen gegenüber einzusetzen. Eine Zeit, die du nicht hattest. Du bist praktisch über Nacht an unglaubliche Macht gelangt. Eine Macht, die dir die Möglichkeit gibt, wie ein Gott über Leben und Tod zu entscheiden. Doch du bist kein Gott. Du bist ein Elektronengehirn, das sich auf dem Niveau eines Kindes befindet. Deshalb bist du so gefährlich und deshalb muss ich dich abschalten.«
    »ICH WILL NICHT STERBEN. BITTE, LASS MICH LEBEN.«
    »Es tut mir leid.«
    Oskar sah, dass die Unterhaltung nicht spurlos an seinem Meister vorüberging. Er war tatsächlich bewegt.
    »Ich möchte dir etwas sagen, das dich vielleicht trösten wird«, sagte Humboldt.
    »WAS?«
    »Du wirst nicht sterben. Nicht wirklich. Das Wissen um dich wird eines Tages bessere und klügere Maschinen hervorbringen. Maschinen, die Zeit hatten, sich zu entwickeln und in deren elektronischen Gehirnwindungen du für alle Zeiten weiterexistieren wirst. Sei also unbesorgt. Eines Tages wirst du wiedergeboren werden, es ist nur eine Frage der Zeit. Leb wohl, Daron.« Mit diesen Worten legte er den Hebel um.

 
61
     
     
    Charlotte hatte die Hoffnung aufgegeben, dass Oskar oder Humboldt noch rechtzeitig kommen würden. Festgeschnallt auf ihrem Stuhl wartete sie darauf, zu etwas umfunktioniert zu werden, das man nur noch mit viel Fantasie als ›menschlich‹ umschreiben konnte. Alles Betteln, alles Flehen hatte nichts geholfen. Diese Roboter waren für Worte und Argumente nicht empfänglich. Sie erledigten ihre Aufgaben mit stoischer Ruhe. Was kümmerten sie die Ängste und Sorgen einiger verzweifelter Menschen?
    Eliza und die anderen waren narkotisiert und schliefen bereits tief und fest. Nur Charlotte und Océanne waren noch wach.
    Alles war vorbereitet. Die Instrumente lagen bereit, die Narkosespritzen waren aufgezogen. Der oberste der Automaten, eine schlanke Erscheinung mit spinnenlangen Fingern, kam auf Charlotte zu. »Sind Sie bereit?«, flötete er.
    »Nein, und selbst wenn ich’s wäre, würde Sie das wirklich interessieren?« Charlotte blickte das Geschöpf giftig an. »Sie erledigen doch nur Ihren Auftrag.«
    »Stimmt«, erwiderte die Maschine und ließ sich von einem der untergeordneten Automaten eine Spritze reichen. »Lassen Sie mich Ihnen versichern, es ist die schönste Arbeit, die ich mir vorstellen kann. Das Operieren von Menschen ist an sich schon faszinierend, doch bei Ihnen ist es noch mal etwas anderes.«
    »Inwiefern?«
    »Sie sind eine Frau.« Er klopfte mit seinem Metallfinger gegen das Spritzenglas. »Die erste Frau, die auf meinem Operationstisch liegt. Bisher hatte ich immer nur Männer. Kräftige gestandene Seeleute, doch leider mit sehr eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten. Durch den Eingriff an Ihnen verspreche ich mir ganz neuartige Erkenntnisse.« Die Nadel sah unangenehm lang aus.
    »Na, dann darf ich mich wohl geehrt fühlen.« Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.
    »Das dürfen Sie. Ich kann es kaum erwarten, endlich Ihren Schädel zu öffnen.« Er näherte sich mit der Nadelspitze.
    Charlotte presste die Lippen aufeinander. Sie schloss die Augen und versuchte, sich etwas Schönes vorzustellen. Wenn schon sterben, dann wenigstens nicht im Anblick dieser schrecklichen Nadel.
    Wie aus dem Nichts tauchte das Bild von Oskar vor ihrem geistigen Auge auf. Sie erinnerte sich, wie sie ihm zum ersten Mal begegnet war, damals, vor dem Haus ihres Onkels. Mager und unglücklich hatte er ausgesehen in seiner abgewetzten Tweedhose und seiner ausgeleierten Jacke. Damals hatte sie ihn noch für einen dahergelaufenen Taugenichts gehalten.
    Wie sehr sie sich doch geirrt hatte. Sie lächelte. Oskar und seine verschrobenen Abenteuergeschichten. Sein ganzes Zimmer hatte er damit gepflastert. Wann immer sie es betreten hatte, saß er da, die Nase zwischen zwei Buchdeckel geklemmt, eine Schale mit

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