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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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der meterhohen Bücherregale und zog einen schweren, in Leder gebundenen Band heraus. Auf dem Buchdeckel waren vorne ein Anker und ein Zahnrad eingeprägt. Papastratos rückte seine Brille zurecht und begann zu blättern. Nach einer kurzen Weile hatte er gefunden, wonach er suchte. Er drehte das Buch zu ihnen hin.
    »Das ist er.«
    Oskar reckte den Hals. Der Kupferstich zeigte einen Mann von vielleicht dreißig Jahren. Ein ebenmäßiges hübsches Gesicht mit schmaler Nase und vollen Lippen. Seine Augen schienen vor Neugier und Begeisterung zu leuchten.
    »Livanos wuchs als jüngerer von zwei Brüdern in ärmlichen Verhältnissen auf«, sagte der Professor. »Der Vater und sein Bruder arbeiteten auf der Werft in Piräus, dem Hafen von Athen. Sie schufteten von früh bis spät, um der Familie ein Auskommen zu sichern. Alexander, dessen enorme Intelligenz schon früh sichtbar wurde, ersparte man diese Tortur. Er sollte eine andere Richtung einschlagen. Er durfte eine Schule besuchen, später das Polytechnikum, wo wir beide uns kennenlernten. Ich war zwar nur ein einfacher Student, aber ich erkannte die Kühnheit seiner Entwürfe und ermunterte ihn dazu, sie seinen Professoren vorzustellen.«
    »Um was für Entwürfe ging es dabei?«, fragte Humboldt.
    »Nun, in erster Linie um Werftbauten. Vollautomatische, hoch technisierte Konstruktionen, die ein Schiff mit einem Minimum an menschlichen Arbeitskräften reparieren oder zusammenbauen können. Technische Wunderwerke, die den Arbeitern die unmenschlichen Bedingungen ersparen sollten, die Livanos in seiner Kindheit erlebt hatte.«
    »Werften«, bemerkte Humboldt nachdenklich. »Was Sie nicht sagen …«
    Er legte die Stirn in Falten und schrieb ein paar Bemerkungen in sein ledergebundenes Notizbuch.
    »Um es kurz zu machen, die Vorschläge wurden von der Fakultät rundherum abgelehnt«, fuhr Papastratos fort. »Sie wurden als Hirngespinste abgetan, als Visionen eines unreifen Jugendlichen. Dabei waren sie das Großartigste, was ich je gesehen hatte.«
    »Was geschah dann?«
    »Livanos verließ die Hochschule von einem Tag auf den anderen. Denjenigen, die ihn mochten und respektierten, erzählte er, dass er hier nichts mehr lernen könne. Er habe bereits Kontakt zu Leuten aufgenommen, die ihn auf seinem Weg unterstützen würden und die nicht so kleingeistig dachten wie die Professoren an dieser Hochschule.« Über Papastratos’ Gesicht huschte ein feines Lächeln. »Wissen Sie, er hatte recht. Die Schule war damals noch nicht, was sie heute ist. Seit Livanos fortging, hat sich hier einiges geändert, was nicht zuletzt mein Verdienst ist.« Er strich über sein Bärtchen.
    »Wissen Sie, von welchen Leuten er sprach, als er sagte, er habe Kontakt mit ihnen aufgenommen?«
    »Oh ja. Einer von ihnen war Tesla.«
    Humboldt hatte gerade seine Teetasse an die Lippen gesetzt. Er zuckte zusammen, verschluckte sich, dann besann er zu husten. Offenbar hatte er Mühe, nicht die ganze Ladung über den Tisch zu prusten. Nachdem er wieder zu Atem gekommen war und sich das Kinn abgetupft hatte, sagte er: »Nikola Tesla?«
    »Sie kennen ihn?«
    »Nicht persönlich, nein, aber ich habe von ihm gehört. Wer nicht?«
    Charlotte hob die Augenbrauen. »Wer ist denn dieser Tesla? Muss man den kennen?«
    Humboldt drehte ihr entrüstet den Kopf zu. »Liebes Kind, wo hast du die letzten sechzehn Jahre nur gelebt?«
    »In der Höheren Töchterschule in Bern, das weißt du genau.«
    »Ja, sicher«, lenkte der Forscher ein. »Ich meine nur, habt ihr da nichts Vernünftiges gelernt? Nikola Tesla ist einer der bedeutendsten Erfinder unserer Zeit!« Er zeigte auf das Linguaphon. »Einige von seinen Ideen befinden sich in diesem kleinen Kasten.« Er wandte sich wieder an den Professor. »Was geschah dann?«
    »Livanos ging wohl einige Jahre bei ihm in die Lehre, so genau kann ich das nicht sagen. Der Kontakt, den wir hatten, wurde allmählich spärlicher und riss schließlich ab. Wie ich hörte, verließ er Tesla irgendwann, um auf einer Werft in Marseille zu arbeiten. Doch hundertprozentig bestätigen kann ich das nicht. Was dann geschah, war mehr als tragisch. Binnen kurzer Zeit kamen sowohl sein Vater als auch sein Bruder bei der Arbeit in den Werften um. Beide starben, weil die Sicherheitsbedingungen so schlecht waren. Es wurde gespart, wo man nur konnte, und die Opfer dieser Entwicklung waren immer die Arbeiter.«
    »War die Auftragslage so schlecht …?«
    »Ach was. Die Auftragslage war

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