Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
heranzuziehen und festzuhalten, als ein weiterer Schlag das Schiff durchrüttelte. Einige Matrosen schlitterten quer durch den Raum und schlugen krachend gegen die gegenüberliegende Eisenwand, wo sie stöhnend und jammernd liegen blieben. Das Licht flackerte kurz auf, dann erlosch es. Flüche und Klagelaute erklangen in der Dunkelheit.
»Was ist passiert?« Charlotte hatte alle Mühe, Wilma zu halten. Der kleine Vogel quiekte und strampelte in Todesangst.
»Wir haben aufgesetzt!«, rief Eliza. »Die Calypso liegt auf Grund.«
Charlotte stemmte ihr Bein in eine Vertiefung in der Wand und schob sich näher an das Fenster heran. Zuerst erkannte sie nichts, weil der aufgewirbelte Schlamm die Sicht trübte, doch nach einer Weile senkte sich der Schleier. Charlotte presste die Nase ans Glas. Vor ihren Augen breitete sich eine eintönige schlammige Ebene aus. Der Horizont wirkte leicht gekippt, was jedoch auf die Schieflage der Calypso zurückzuführen war. Irgendwo im Hintergrund schimmerte ein fahles Licht. Im schwachen Schein der Außenlaternen reckten sich Felswände in die Höhe, deren Flanken wie die Häupter hässlicher Gorgonen aussahen. Mit hämischen Fratzen blickten sie auf das gesunkene Schiff herab. Von der riesigen Kreatur, die sie in ihr nasses Grab gezogen hatte, fehlte jede Spur. Sie hatte sie einfach ihrem Schicksal überlassen.
Charlotte hielt Wilma eng an ihre Brust gedrückt. Sie waren gefangen, Gott weiß wie viele Meter unter dem Meeresspiegel. Nur ein Wunder konnte sie jetzt noch retten.
Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als sie in weiter Ferne ein schwankendes Licht bemerkte. Es hob und senkte sich und kam dabei langsam näher. Auch die anderen schienen es gesehen zu haben. Wer noch die Kraft hatte aufzustehen, trat ans Fenster und blickte hinaus.
Da draußen war nicht einfach nur ein Licht. Vor dem schwarz erleuchteten Hintergrund zeichnete sich eine monströse Erscheinung ab. Sie sah aus wie ein riesenhafter missgestalteter Mensch, der eine Laterne in der Hand hielt.
Er torkelte und taumelte, als wäre er ein Seemann, der zu viel getrunken hat. Charlotte glaubte zu halluzinieren. Der Kerl musste mindestens fünfzehn Meter messen, so klein, wie neben ihm die Schiffswracks wirkten. Mit riesigen Schritten durchquerte er den Graben und zertrat dabei Felsen, als wären es Weinbergschnecken.
»Was in drei Teufels Namen ist denn das?« Clement gab ein entsetztes Stöhnen von sich.
»Es ist eine Maschine«, flüsterte Eliza. »Ein mechanischer Mensch.«
»Wie Heron«, flüsterte Charlotte.
Eliza nickte. »Nur, dass dieses Exemplar um ein Hundertfaches größer ist. Ich glaube, er will zu uns.«
Tatsächlich. Torkelnd und schwankend marschierte der riesige Automat auf die Calypso zu. Dampfblasen quollen aus seinem Kopf und ließen ihn aussehen, als würde er rauchen. Seine Schritte ließen den Meeresboden erzittern.
Nur wenige Augenblicke später hatte er sie erreicht. Riesige Füße trampelten vor den Bullaugen auf und ab. Charlotte konnte hören, dass einige Matrosen beteten. Von den hartgesottenen Kerlen, die sie auf der Fahrt verspottet und schikaniert hatten, war nur noch ein Häuflein Elend übrig geblieben.
Die Einzige, die die Fassung behielt, war Eliza. Im schwachen Schein der Lichter sah Charlotte, wie ihre Augen glänzten. »Ich habe dir gesagt, es gibt einen Plan. Ich bin sicher, dass wir alle gerettet werden.«
Als hätte sie das Stichwort gegeben, beugte der mechanische Mann sich vor, streckte seine gewaltigen Arme aus und packte das Schiff. Ein Klirren wie von Kettengliedern drang an ihre Ohren, dann durchfuhr ein Ruck das Schiff. Ein grässliches Quietschen ertönte. Die Calypso wurde einige Meter über den Meeresboden geschleift. Der Boden schwankte wie bei einem Erdbeben. Charlotte stützte sich mit Händen und Füßen gegen die Wand und klemmte Wilma ein, damit sie nicht wegrutschte. Wieder zog sie der Roboter ein Stück über den Grund. Man konnte hören, wie das Eisen um sie herum ächzte und knarrte. Die Belastungen mussten unvorstellbar sein. Charlotte konnte nur beten, dass das Schiff diesen Kräften gewachsen war, sonst würde es bald leckschlagen.
So langsam fing Charlotte an zu glauben, dass Eliza recht hatte. Es gab einen Plan. Es musste einen geben. Das alles hier wirkte wie von langer Hand geplant. Wenn die Calypso noch ein wenig durchhielt, würden sie vielleicht doch noch erfahren, wer sie entführt hatte und warum.
Weiter und weiter zog der
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