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Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Titel: Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dann drei. Immer mehr Risse tauchten auf.
    Die spiegelnde Oberfläche wurde matt. Das leuchtende Grün nahm an Farbigkeit ab und wich einem stumpfen Grau. Dann zerbröselte der Kristall und fiel in sich zusammen. Wo er gestanden hatte, war nur noch ein kleiner Sandhaufen zu erkennen. Doch auch die anderen Kristalle waren befallen. Charlotte sah, dass sich das Phänomen nach hinten fortsetzte. Wo man nur hinblickte, wurde das Grün von einem stumpfen Grau ersetzt.
    Ein Rauschen und Zischen erfüllte die Luft. Es klang, als hätte jemand das Ventil an einem Dampfkessel geöffnet. Ein plötzlicher Wind setzte ein, der einen unangenehmen Geruch mit sich führte. Es roch scharf und schneidend und erinnerte ein wenig an Chlorgas. Charlotte hielt sich ein Taschentuch vor die Nase. »Es klappt«, flüsterte sie. »Ich glaub es ja nicht, aber es klappt. Los!«, stieß sie hinter vorgehaltener Hand hervor. »Noch einmal.«
     

     
    Oskar spürte, wie etwas in ihm zerbrach. Der Schmerz erinnerte ihn an das Kribbeln, wenn man seine erfrorenen Hände und Füße in einen Bottich mit warmem Wasser tauchte, nur viel stärker. Seine Organe, seine Arme und Beine, sein gesamter Körper waren zu Eis erstarrt.
    Und nun tauten sie auf.
    Ein Stöhnen kam über seine Lippen. Er ballte die Hände zu Fäusten und presste die Lippen aufeinander. Um ihn herum erbebten die Kristalle. Das fremde Wesen war von einer unbekannten Macht erfasst worden. Die Erschütterungen nahmen im gleichen Verhältnis zu, wie auch das Kribbeln und Brennen in seinem Körper zunahm. Oskar hatte das Gefühl, kochende Luft einzuatmen. Dann hob er seinen Kopf und schrie.
     

     
    »Hast du das gehört?« Charlotte hielt ihren Kopf in den Wind. Über das Rauschen der berstenden Kristalle hinweg war ein lang gezogener Schrei zu hören gewesen. Er wehte über das Rauschen des Wassers und das Klirren der Kristalle hinweg und verlor sich dann im Regen.
    »Das klang ja furchtbar«, sagte sie. »Fast wie der Schmerzensschrei eines sterbenden Tieres.«
    »Eines Tieres?« Der Forscher blickte zweifelnd. »Es klang eher wie ein Mensch.«
    Charlotte brauchte nicht lange, um die Tragweite dieser Bemerkung zu erfassen. »Mein Gott«, flüsterte sie. »Glaubst du etwa …?«
    Der Forscher nickte. »Oskar …«
    Die beiden drangen immer tiefer in den feindlichen Wald aus Nadeln und Spitzen ein. Noch einmal drückte Humboldt auf den Knopf. Die Kristalle schmolzen wie Eis in der Wüste. Eine breite Schneise aus hellem Sand entstand vor ihren Füßen. Wo immer der Schall hindrang, zerfielen die grünen Eindringlinge zu harmlosem Staub. Doch was würde geschehen, wenn er auf einen Menschen traf? Charlotte erinnerte sich an Bellheim. Von ihm war nicht mehr als eine Handvoll Sand zurückgeblieben. Sie konnte nur beten, dass die Veränderung bei Oskar noch nicht so weit fortgeschritten war.
    In der Ferne war ein besonders großer Kristall zu sehen. Er überragte die anderen um mehr als das Doppelte. Ein gewaltiger Monolith von gut zwanzig Metern Höhe. Er stand genau im Zentrum dessen, was einst der Tempel gewesen sein musste. Ihm zu Füßen kauerte eine kleine Erscheinung, die sich Hilfe suchend an die gläsernen Flanken schmiegte. Die Kleidung hing ihm in Fetzen vom Leib und seine Haut war über und über mit Schürfwunden bedeckt. In seiner Angst und seiner Verzweiflung sah er aus wie ein Schiffbrüchiger, der sich an einer rettenden Planke festklammerte.
    »Oskar!«
    Charlotte war noch mehr als zwanzig Meter von ihm entfernt. Trotzdem konnte sie das grüne Leuchten in seinen Augen erkennen. Der Ausdruck im Gesicht des Jungen war vollkommen leer. Kein Lächeln, kein Winken, kein Wiedererkennen. Als sie zu ihm hinüberlaufen wollte, wurde sie von Humboldt zurückgehalten.
    »Tu’s nicht«, sagte er. »Er steht unter dem Bann des Meteoriten.«
    »Aber wir müssen ihm helfen. Sieh nur, wie verloren er wirkt. Es bricht mir das Herz, ihn so zu sehen.«
    »Glaubst du, mir ginge es anders? Trotzdem müssen wir tun, was richtig ist.«
    »Und wenn es schiefgeht?«
    Humboldt blickte ernst. »Dann wird er zumindest von seinem Fluch erlöst sein. Bete mit mir, dass es klappt.«
    Mit diesen Worten drückte er auf den Knopf.
    Die Töne erklangen mit gnadenloser Härte. Sie trafen auf Oskar, prallten von den gläsernen Wänden ab, wurden reflektiert und stützten erneut auf ihn ein. Das Ergebnis war unmittelbar und erschreckend. Sein Körper bäumte sich auf, als würde er von zehntausend Volt

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