Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
erwarten? Humboldt hatte ganz recht: Sie standen wirklich am Beginn einer neuen Zeit.
Der Forscher packte seine Instrumente wieder zusammen und verstaute sie in der Truhe. Dann kam er zurück, setzte sich neben Oskar und zündete seine Pfeife an. Er streckte die Beine aus und blies Rauchringe in die Luft. »Es gibt da etwas, über das ich mit dir reden möchte.«
»Ja?«
Humboldt warf einen schnellen Blick in Richtung der Kajüten, als ob er sich vergewissern wollte, dass niemand sie belauschte. »Es ist ein bisschen heikel. Zu Hause war alles etwas hektisch und außerdem war ständig jemand zugegen. Hier sind wir völlig ungestört.«
»Klingt ja sehr mysteriös.«
Humboldt strich über sein Kinn. »Ich weiß nicht recht, wie ich beginnen soll. Ich bin nicht gut in solchen Dingen, daher komme ich gleich zum Punkt.«
Oskar zog eine Braue in die Höhe. So verlegen hatte er den Forscher noch nie erlebt.
»Nun, es hat etwas mit deiner Cousine zu tun … und mit dir.«
»Mit Charlotte und mir?«
»Mag sein, dass dir das Thema unangenehm ist«, fuhr der Forscher fort. »Es ist sogar sehr wahrscheinlich. Aber ich halte es für meine Pflicht, mit dir darüber zu reden. Als dein Freund und Berater, aber auch als dein Vater.«
»Und … um was geht es?« Oskar spürte, wie ihm warm unter seiner Jacke wurde.
»Mir ist nicht entgangen, dass Charlotte und du gewisse Gefühle füreinander entwickelt habt. Gefühle, die über das rein Freundschaftliche hinausgehen. Ich habe es in Peru bemerkt und auch bei unserer Reise zum Palast des Poseidon. Neulich, bei den Bellheims, war es besonders stark.« Er räusperte sich. »Ich habe extra nicht mit Eliza darüber gesprochen, weil ich weiß, dass sie manche Dinge anders sieht als ich.«
Oskars Kehle fühlte sich plötzlich sehr trocken an.
»Es ist klar, dass ihr beiden euch zueinander hingezogen fühlt«, fuhr der Forscher fort. »Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich mich da einmischen soll, aber nach dem Silvesterabend halte ich es für meine Pflicht, dich darauf hinzuweisen.«
»Was meinen Sie?«
Humboldt blies eine Rauchwolke in die Luft. »Komm, komm, du weißt genau, wovon ich rede. Der Tanz, die Berührungen, die Blicke. Du hättest Charlotte erleben sollen, als du mit Bellheim gerungen hast. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte sich selbst in den Kampf gestürzt.«
Oskar schwirrte der Kopf. Er fand es unfair, dass sein Vater sich da einmischte. Es war peinlich. Abgesehen davon wusste er ja selbst nicht genau, wie es um ihn und Charlotte stand. Dass er sich verliebt hatte, stand außer Zweifel, aber bei Charlotte war er sich nicht sicher. Sie wusste ihre Gefühle sehr gut zu verbergen.
»Bei allem Respekt …«, sagte er mit leiser Stimme, »… aber ich glaube, das ist eine Sache zwischen mir und Charlotte.«
»Nun … nicht ganz.« Um Humboldts Lippen spielte ein trauriges Lächeln. »Solange ihre Mutter im Sanatorium ist und Charlotte unter meinem Dach wohnt, bin ich für sie verantwortlich. Das betrifft dich genauso wie jeden in unserem Haus. Ich bin euer Vormund und als solcher ist es meine Pflicht zu verhindern, dass ihr irgendwelche Dummheiten anstellt.«
So ist das also, dachte Oskar. Jetzt wird mir also schon vorgeschrieben, wen ich nett finden darf und wen nicht. Leitete sich das Wort Vormund etwa von Bevormundung ab? Wenn das die Folgen der Adoption waren, na, dann gute Nacht.
Humboldt schien seine Gedanken zu erraten. »Es fällt dir sicher schwer, das zu akzeptieren«, sagte er, »aber ich will nur das Beste für euch. Ich habe keine Erfahrung als Vater. Lange Jahre habe ich gelebt, ohne überhaupt zu wissen, dass es dich gibt. Und jetzt habe ich nicht nur einen Sohn, sondern auch noch so etwas wie eine Tochter. Du kannst dir sicher vorstellen, dass die Situation auch für mich nicht einfach ist, aber wir müssen hier alle zusammenhalten.«
»Ich weiß nicht …« Oskars Gesicht fühlte sich plötzlich ganz heiß an. Die Wut schnürte ihm die Kehle zu. Es fiel ihm schwer zu sprechen. »Ich glaube, Charlotte ist ohnehin nicht an mir interessiert«, murmelte er. »Seit dem Silvesterball geht sie mir aus dem Weg. Ständig treibt sie sich auf dem Dachboden herum und wenn ich mit ihr reden will, weicht sie mir aus.«
»Ah?« Der Forscher hob die Brauen. »Das wusste ich nicht. Das tut mir zwar leid, aber es könnte die Angelegenheit vereinfachen. Ich frage mich allerdings, was sie auf dem Dachboden macht.«
»Keine Ahnung«, presste
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