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Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Titel: Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Oskar hervor. »Hat irgendwas mit dem Brief zu tun, den sie neulich bekommen hat. Einmal habe ich sie sogar dabei beobachtet, wie sie mit verweinten Augen zurückkam.« Er fühlte sich selbst den Tränen nah. Seine Bemühungen, seine Gefühle zu unterdrücken, schienen zu scheitern. »Jedenfalls haben wir in letzter Zeit nicht viel miteinander geredet«, schloss er.
    Der Forscher strich über sein Kinn. »Seltsam. Nun, ich werde der Sache auf den Grund gehen, sobald wir wieder in Berlin sind.« Er holte tief Luft. »Zunächst mal bin ich erleichtert, dass die Sache nicht schon weiter gegangen ist. Bei euch jungen Leuten weiß man ja nie. Du weißt schon: verliebte Blicke, Händchenhalten, der erste Kuss …« Er räusperte sich verlegen. »Ich mag kein Experte in solchen Dingen sein, aber ich weiß, wohin manche Dinge führen. Nun schau nicht so enttäuscht. Es gibt doch genügend andere Mädchen. Du siehst gut aus und bist intelligent. Es sollte dir nicht schwerfallen, jemanden zu finden.« Er warf Oskar einen verschwörerischen Blick zu. »Was ist eigentlich mit dieser Lena? Ich habe das Gefühl, sie kann dich gut leiden. So, wie sie dich immerzu anlächelt …«
    »Lena …« Oskar spuckte den Namen beinahe aus. »Die ist doch ein Kind.« Wütend schüttelte er den Kopf. Glaubte sein Vater allen Ernstes, er könne seine Gefühle so einfach ein- und ausschalten wie einen seiner elektrischen Apparate? Dass er jetzt auch noch Lena ins Spiel brachte, klang, als würde er sich über ihn lustig machen. War ja auch egal. Oskar war ohnehin nicht länger nach Reden zumute.
    »War’s das?«, fragte er.
    »Von meiner Seite schon.« Der Forscher zog an seiner Pfeife.
    Oskar stand auf, verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und eilte ohne ein weiteres Wort in Richtung Achterdeck.

 
17
     
     
    Zögernd betrat Yatimè die verbotene Stadt. Um sie herumragten Ruinen auf. Dunkle, fleckige Lehmbauten, deren Dächer bis hoch an die honiggelben Felswände reichten. Voller Misstrauen schaute sie in die dunklen Fensteröffnungen, die wie blinde Augen in die Luft starrten. Ganz allein, nur mit einem Stock bewaffnet und ihrem verkrüppelten Hund an ihrer Seite, streifte sie durch die ehemals belebten Straßen.
    Je weiter sie kam, desto klarer wurde Yatimè, dass dieser Ort seinen Namen nicht ohne Grund trug. Eine unerklärliche Stille lag über der Stadt. Als ob jemand ein Leichentuch darübergebreitet hätte. Wären da nicht die Tritte ihrer Füße und das Hecheln ihres Hundes gewesen, sie hätte vermutet, dass mit ihren Ohren etwas nicht stimmte. Kein Zirpen von Heuschrecken oder Grillen, kein Zwitschern von Vögeln, ja nicht einmal das Rascheln von Gras. Man kam sich vor, als befände man sich an einem von den Göttern verlassenen Ort.
    Sie hielt inne und legte ihre Hand an die Rinde eines Granatapfelbaums. Jedes Lebewesen, sei es nun Mensch, Tier oder Baum, hatte eine Stimme. Bäume sprachen mit Bäumen, Löwen mit Löwen und Dogon mit Dogon. Das Problem war nur, dass einer den anderen nicht verstand. Yatimè verstand sie alle. Sie wusste, was eine Pflanze ihr sagen wollte, allein durch Berührung mit den Fingern.
    Und auch diesmal gelang es ihr, einen Kontakt herzustellen. Der Baum war alt und seine Rinde war dick, trotzdem spürte sie, dass er ihr eine Warnung zuraunte. »Geh«, sagte er. »Kehr um. Dies ist kein Ort für deinesgleichen. Dreh um und komm nie wieder.«
    Yatimè zuckte zurück. Die Worte waren lauter als das übliche Flüstern der Bäume. Es war beinahe ein Schrei. Sie blinzelte gegen die Sonne. Ein dunkler Schleier schien sich davorgelegt zu haben. Jabo stieß ein sorgenvolles Winseln aus.
    »Du musst keine Angst haben«, flüsterte Yatimè. »Die Botschaft war zwar ungewohnt heftig, aber jetzt ist wieder alles in Ordnung. Lass uns weitergehen.« Sie streichelte ihrem Begleiter aufmunternd über den Kopf, doch so selbstsicher, wie sie klang, war sie nicht. Den Stock fest umklammernd, marschierte sie weiter.
    Es dauerte nicht lange, als sie an eine Art Platz gelangte. Die Gebäude wichen zurück und gaben den Blick frei auf etwas, das nur ein Tempel oder eine Kultstätte sein konnte.
    Jabo schien Todesängste auszustehen. Er hatte den Schwanz zwischen die Hinterläufe geklemmt und gab leise, klagende Laute von sich. Trotzdem trottete er weiter. Yatimè musste lächeln. Dieser kleine Hund hatte mehr Mumm in den Knochen als zehn ihrer besten Krieger. Wenn es darauf ankam, würde er sich selbst einem Löwen in

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