Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Titel: Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
eine Luke, die zu den Laderäumen führte. Ein kleiner Kopf mit langem Schnabel lugte aus den Tiefen zu ihm herauf. Oskar sprang mit einem Satz vom Achterdeck hinab, packte den Kiwi und drückte ihn an sich.
    »Gott sei Dank.«
    Die Zeit wurde verdammt knapp. Der Himmel an Backbord war eine brodelnde Hexenküche. Der Sand verschluckte das Sonnenlicht und tauchte das Land in tiefste Finsternis.
    Er schwang sein Bein über Bord und stieg auf die Trittstufen. Die Strickleiter baumelte wild hin und her. Unter ihm stand Humboldt, der verzweifelt zu ihm heraufblickte.
    »Wo hast du so lange gesteckt? Na, egal, wirf Wilma zu mir herunter. Wir haben ein Versteck gefunden.«
    Oskar tat, was der Forscher von ihm verlangte, und ließ den Vogel los. Flatternd purzelte Wilma in die Tiefe. Humboldt war zur Stelle und fing sie auf. Oskar warf einen letzten Blick nach unten, dann packte er die Seile und kletterte hinunter. Die Pachacútec wurde von einer gewaltigen Böe erfasst und herumgeschleudert. Um ein Haar hätte er den Halt verloren. Sand hüllte ihn ein. Der Sturm brüllte und donnerte. Humboldt war nur noch ein schwarzer Schatten unter ihm. Er wedelte wie wild mit den Armen. Dann legte er die Hände trichterförmig an den Mund und schrie irgendetwas. Oskar verstand nicht, was der Forscher wollte. Sollte er die Leiter loslassen? Das konnte doch unmöglich sein Ernst sein, es waren mindestens drei Meter bis zum Boden. Ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde das Schiff erneut gepackt und wild herumgeschleudert. Ein furchtbares Krachen war zu hören. Die Pachacútec machte einen Ruck, dann trieb sie davon. Die Ankerkette! Das Schiff stieg immer höher. Jetzt war es so hoch, dass ein Sprung vollkommen ausgeschlossen war.
    Dunkelheit hüllte ihn ein. Sand drang ihm in Augen, Mund und Ohren. Die winzigen Geschosse brannten auf seiner Haut wie Nadelstiche. Blind, taub und völlig verängstigt kletterte er die Leiter hinauf. Er ließ sich an Bord fallen und kroch unter die Plane, mit der die Ankerwinde abgedeckt war. Das war zwar nur ein schwacher Schutz gegen den Sand, aber besser als gar nichts. Schluchzend und zitternd zog er seine Beine an und umschlang sie mit den Armen. Wie ein verängstigtes Kaninchen hockte er da und lauschte dem Sturm.

 
21
     
     
    Charlotte und Eliza kauerten zwischen den breit ausladenden Wurzeln eines Affenbrotbaums. Der Wind donnerte und brauste, als wollte er die Welt aus ihrer Verankerung heben. Ungeheure Sandmengen wurden durch die Luft geschleudert, fegten über sie hinweg und lagerten sich an den Seiten des Baums zu mächtigen Dünen ab. Selbst der Boden erzitterte unter dem Ansturm der Naturgewalten.
    Charlotte presste die Lippen zusammen. Wo steckten nur Humboldt und Oskar? Eigentlich hätten sie längst zurück sein müssen. Sie schaute zu ihrer Freundin. Elizas Gesicht war in der Dunkelheit kaum zu erkennen, aber ihre Augen leuchteten voller Sorge.
    Jetzt hörte sie einen Schrei. Ein lang gezogener Klagelaut, der sich wie eine einzelne Note über das Brüllen und Toben des Windes erhob.
    So überraschend, wie es eingesetzt hatte, verebbte das Geräusch. Charlotte fühlte ihr Herz pochen. Völlig verängstigt spähte sie aus ihrem Versteck.
    Die Sicht betrug kaum mehr als drei Meter. Ihre Schutzbrille auf der Nase und ein Taschentuch vor den Mund haltend, spähte sie in das Chaos. Alles, was sie sah, war ein gelblicher Nebel aus Sand.
    Plötzlich bemerkte sie eine Bewegung. Vor dem dunklen Hintergrund zeichnete sich schwach ein Umriss ab.
    Humboldt!
    Ein Stofftuch vor den Mund gedrückt, stapfte der Forscher mit langsamen Schritten näher. Unter seinem Arm hielt er etwas, das wie eine Tasche oder ein Beutel aussah. Ein dünner langer Schnabel lugte daraus hervor.
    Charlotte trat aus dem Windschatten und half ihrem Onkel in die schützende Vertiefung zwischen den Bäumen. Der Sand rieselte von seinen Schultern. Er ließ sich zu Boden sinken und stellte die Tasche mit Wilma ab. Der Vogel wirkte völlig verängstigt.
    »Wo ist Oskar?«
    Humboldt nahm das Taschentuch von seinem Mund. Seine Lippen waren spröde und rissig. Charlotte fand, dass er alt aussah. Alt und grau. Niedergeschlagen schüttelte er den Kopf.
    »Was soll das heißen?«, fragte Charlotte. »Was ist geschehen?«
     

     
    Oskar war in der Gewalt des Sandsturms. Wie eine Maus in der Pranke einer gigantischen Katze, wurde die Pachacútec herumgewirbelt, gestoßen, geschlagen und langsam in ihre Einzelteile zerlegt.

Weitere Kostenlose Bücher