Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
»Ist es nicht möglich, dass du mit ihm Kontakt aufnimmst? Das hat doch früher auch schon geklappt. Bestimmt kannst du ihn aufspüren und ihm eine Botschaft übermitteln.«
Eliza schüttelte traurig den Kopf. »Das habe ich doch schon längst versucht. Aber da ist nichts. Nur Stille.« Sie umfasste ihr Amulett.
»Heißt das etwa …?«
»Nein. Manchmal kommt einfach keine Verbindung zustande. Es ist eine Gabe, die sich nicht steuern lässt. Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben. Über kurz oder lang werde ich bestimmt ein Signal von ihm erhalten. Aber dafür höre ich etwas anderes …« Die Haitianerin schloss die Augen. Ihre Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut darüber. Charlotte schaute sie aufmerksam an. »Wovon sprichst du? Was hörst du?«
Eine Weile blieb Eliza stumm, dann öffnete sie ihre Augen wieder. »Gesang«, flüsterte sie.
»Gesang?«
Eliza nickte. »Es klingt, als würde jemand mit einem feuchten Finger über den Rand eines Glases streichen. Eine traurige Melodie. Unendlich fremdartig und einsam. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, ist sie da.«
»Und dass es Oskar ist, kannst du mit Sicherheit ausschließen?«
»Ganz sicher. So etwas wie das hier habe ich noch nie gehört. Er ist nicht von dieser Welt.«
Charlotte runzelte die Stirn. Was wollte Eliza damit sagen?
Sie öffnete den Mund, um sie danach zu fragen, doch in diesem Moment stand Humboldt auf und klopfte den Staub von seiner Hose. »Mir ist gerade ein Gedanke gekommen, wie wir Oskar helfen können«, sagte er.
»Und wie?«
»Wir werden ein Zeichen senden.« Der Forscher lächelte grimmig. »Lasst uns ein Feuer machen. Eines, dessen Licht wie ein Leuchtturm in der Nacht scheint. In der Weite der Steppe müsste es über viele Kilometer zu sehen sein. Und wenn es Tag ist, können wir uns den Rauch zunutze machen. Was haltet ihr davon?«
»Und was ist mit den Dogon?«, fragte Charlotte. »Wenn Oskar unser Feuer sieht, dann können sie das auch.«
»Das Risiko müssen wir eingehen. Wir haben nur noch zwei Wasserflaschen und der Proviant ist an Bord der Pachacútec. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir nicht überleben.«
Charlotte nickte. »Worauf warten wir dann noch?«
23
Oskar schlug die Augen auf. Die Sonne war wie eine goldene Kugel hinter dem Horizont emporgestiegen. Ihre Strahlen überfluteten die Wüste mit warmem Licht und enthüllten eine Landschaft von karger Schönheit: einige Felsen, in deren Schatten Gräser und Büsche kauerten, weite Sandflächen und ein endloser Himmel, an dem fern im Westen noch die letzten Sterne funkelten.
Eine Zeit lang ließ er den Anblick auf sich wirken, dann bewegte er seinen Oberkörper in eine aufrechte Position. Der Sturm war vorüber. Nicht der geringste Windhauch war zu spüren. Seine Kleidung war klamm und schwer, seine Haut mit einer Schicht von Feuchtigkeit überzogen. Zitternd fing er an, seinen Körper abzutasten. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte ausgepolstert. Langsam drehte er ihn von einer Seite zur anderen. So weit alles in Ordnung, sah man mal von ein paar Prellungen an der Hüfte und einer dicken Beule am Kopf ab.
Was war geschehen?
Er erinnerte sich, dass das Schiff von Sturm fortgerissen und gegen eine Felswand geprallt war. Dabei musste er wohl über Bord geschleudert worden sein. Er versuchte, die Bruchstücke seiner Erinnerung zu ordnen, aber das Nachdenken bereitete ihm Unbehagen. Also blieb er noch eine Weile sitzen und lauschte den Geräuschen der Savanne.
Von links war ein Surren zu hören, während hinter ihm ein heiseres Bellen erklang. Als es aussetzte, wurde es von dem Heulen einer Eule beantwortet. Irgendwo rechts von ihm raschelte etwas im Gebüsch. Nach und nach kehrten auch die Erinnerungen zurück.
Er drehte sich um. Hinter ihm ragte dunkel und bedrohlich die Flanke des Tafelbergs in die Höhe. Wie ein Vorhang zerschnitt er den Himmel und verschluckte das Licht. Von der Pachacútec fehlte jede Spur. Der Sturm hatte sie bestimmt auf Nimmerwiedersehen davongeweht. Unsicher stand er auf. Himmel, waren seine Beine wackelig! Er sah sich um. Wo sollte er nach seinen Freunden suchen? Vermutlich hatten sie irgendwo einen Unterschlupf gesucht und warteten auf seine Rückkehr. Der Tafelberg bot die einzige Orientierungshilfe. Mit ein wenig Kombinationsgabe konnte er die Richtung zurückverfolgen, aus der er gekommen war.
Er tappte ein paar Schritte auf dem steilen Abhang herum,
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