Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
Ionisierungsgrad ist ungünstig. Könnte sein, dass es in der nächsten Stunde ziemlich holprig wird. Höchste Zeit, das Schiff zu landen und zu verzurren.«
»Wäre es nicht besser, auf Höhe zu gehen und auf ruhigeres Wetter zu warten?«
Der Forscher deutete nach oben. »Siehst du diese Wolken? Das sind Zirren. Das heißt, da oben herrschen starke Winde und eisige Temperaturen. Je höher wir gehen, desto windiger wird es. Wir würden vermutlich Hunderte von Kilometern weit abgetrieben. Besser, wir landen. Haltet euch fest, ich gehe jetzt runter.«
Wilma hüpfte von ihrem erhöhten Sitzplatz herunter und krabbelte zwischen Oskars Beine. Der Forscher ließ das Steuerrad rotieren und lenkte die Pachacútec hundertachtzig Grad gegen die Flugrichtung. Das Schiff taumelte und schlingerte. Der Wind heulte in der Takelage. Humboldt drückte die Schubhebel nach vorn und ging auf Vollgas. Die Rotoren jaulten auf. Die Wende hatte geklappt. Das Schiff wurde langsamer und kam schließlich zum Stillstand. Eine bange Sekunde verstrich, dann merkten sie, dass die Kraft der Motoren nicht ausreichte, um sie gegen den Wind voranzutreiben. Sie flogen rückwärts.
»Der Anker!«, brüllte der Forscher. »Werft den Anker! Eliza, du musst den Gasdruck senken, schnell!«
»Komm, Charlotte.« Oskar eilte zum Bug des Schiffes. Sie hatten das Werfen des Ankers schon oft geübt, aber dies war der erste Ernstfall. Jetzt musste jeder Handgriff sitzen. Während Charlotte die Verriegelung an der Seiltrommel löste, band Oskar den Strick los, mit dem der Anker an der Bordwand befestigt war. Das Ganze sah aus wie ein Pflug mit vier Schaufeln. Der Knoten saß verdammt fest. Oskar brauchte drei Anläufe, um den widerspenstigen Strick zu lösen. Doch endlich hatte er es geschafft. Der Sandpflug baumelte frei an der Kette.
»Los geht’s!«, rief er und reckte den Daumen in die Höhe.
Charlotte trat auf das Pedal und löste die Sperre neben der Ankerwinde. Jaulend und mit klirrenden Gliedern sauste die Kette in die Tiefe. Dreißig Meter … vierzig, dann schlug der Anker ein. Ein dumpfer Aufprall drang von unten herauf. Oskar blickte über die Reling und sah, wie die Kette hinter ihnen herschleifte. Der Pflug tanzte und hüpfte über den Boden. Er schlug gegen Steine und Bäume, dann verfing er sich zwischen zwei Felsen. Charlotte betätigte die Sperre. Mit einem knirschenden Geräusch sauste der Haltestift ins Zahnrad und blockierte die Maschine. Ein Ruck ging durch das Schiff. Die Kette wurde straff gezogen, dann hingen sie fest. Der Forscher zog die Schubhebel nach hinten und stellte die Rotoren auf kleine Fahrt. Dann eilte er zu ihnen nach vorn. »Gut gemacht«, sagte er mit einem prüfenden Blick in die Tiefe. »Dann wollen wir mal die Winde einschalten und das Schiff runterziehen.«
20
Die Motorwinde ächzte und stöhnte. Noch etwa zehn Meter trennten die Passagiergondel vom Boden. In wenigen Minuten konnten sie die Strickleiter runterlassen und die Halteseile spannen. Charlotte blickte auf die Temperaturanzeige an der Winde. Ihre Aufgabe war es, Kühlwasser nachzugießen und dafür zu sorgen, dass das Aggregat nicht durchschmorte.
Humboldt hob die Hand. »Ich glaube, das reicht!«, rief er. »Schalte die Winde aus, dann können wir das Schiff klarmachen.«
Charlotte trat auf das Pedal. Hustend und stotternd ging das Aggregat aus. Sie atmete erleichtert auf, der erste Teil war geschafft.
Jetzt hieß es, die Pachacútec zu sichern und zu vertäuen. Zum Glück hatte der Wind ein wenig nachgelassen. Oskar warf die Halteseile über Bord. Das Schiff musste an mindestens vier Punkten am Boden fixiert werden. Nur so konnte es stabilisiert werden. Nichts wäre schlimmer, als wenn es von einer starken Böe aus seiner Verankerung gerissen würde. Humboldt eilte zum Fallreep und nahm Eliza und Charlotte mit. »Kommt!«, rief er. »Die Kette wird das Schiff auf Dauer nicht halten können. Ich brauche euch, um die Seile zu spannen. Es kommt jetzt auf jede Minute an.« Mit diesen Worten kletterte er über Bord. Charlotte folgte ihm. Die Hände fest an die Reling geklammert, schwang sie ihre Beine über Bord und stellte die Füße auf die schmalen Holzstufen. Das Schiff schaukelte und schlingerte wie verrückt. Eliza stand direkt hinter ihr. »Du schaffst das schon«, sagte sie. »Einfach einen Fuß nach dem anderen. Nur nicht nach unten sehen.«
Charlotte nahm ihren ganzen Mut zusammen, dann stieg sie die Leiter hinab. Hand für Hand,
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