Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
Hausmaus, wie sie zu Dutzenden auf dem Gelände der Mission herumliefen. Morgens, wenn die ersten Sonnenstrahlen die Veranda wärmten, kamen sie aus ihren Löchern.
»Ich gebe zu, die Fliege war ein vielversprechender Anfang, aber sie ist nur ein Insekt«, sagte der Forscher. »Insekten sind so andersartig, dass wir daraus keine eindeutigen Schlüsse ziehen können. Dieser kleine Geselle hier wird uns hoffentlich ein paar Fragen beantworten.« Er griff in die Schachtel und hob die kleine Maus an ihrem Schwanz empor.
Oskar wollte schon fragen, ob das wirklich nötig war, da hatte der Forscher den kleinen Nager bereits in die Schale mit den Sandkörnern gesetzt.
Sofort hörte die Bewegung auf. Die Körner blieben ganz ruhig, als würden sie auf etwas warten. Die Maus trippelte von einer Seite der Schale zur anderen, hielt schnuppernd die Nase in die Luft und suchte nach einem Ausweg. Ihre kleinen Füße rutschten bei dem Versuch, den gewölbten Metallrand zu erklimmen, immer wieder ab. Als sie einem der Sandkörner zu nahe kam, geschah es. Das Korn sauste unter ihr Fell und verschwand. Irritiert blieb die Maus stehen. Sofort kamen die anderen Sandkörner herangekrochen. Es gab ein kurzes Aufschimmern, dann waren sie verschwunden.
Das Tier schüttelte sich. Es stieß ein kleines Quietschen aus, dann fiel es um. Stocksteif, die Beine in die Luft gestreckt.
Oskar verzog angewidert den Mund. Er mochte Mäuse nicht besonders. In Berlin waren sie seine Feinde gewesen. Mehr als einmal hatten sie seine kompletten Vorräte vernichtet. Doch selbst einer Maus wünschte er nicht ein solches Schicksal.
Der kleine Körper fing an zu zucken, als würde er von elektrischen Stromstößen durchdrungen. Die Beinchen strampelten hektisch, dann bewegte sich auch das Näschen.
Oskar wollte den kleinen Nager streicheln, doch Humboldt hielt ihn zurück. »Das würde ich an deiner Stelle lieber nicht tun.« Er deutete auf die Maus, die nun langsam wieder zum Leben erwachte. Sie rollte herum, stellte sich wieder auf die Beine und blickte misstrauisch in die Runde. Die vier Abenteurer rückten näher. So nahe, dass sie beinahe mit ihren Köpfen zusammenstießen. Die Maus wirkte irgendwie verändert, auch wenn Oskar nicht genau sagen konnte, worin die Veränderung bestand. Sie war in etwa so groß wie vorher, das Fell hatte dieselbe Farbe, Nase und Füße denselben rosa Schimmer. Und doch war es definitiv eine andere Maus. Dann fiel es ihm auf. Es waren die Augen.
Sie waren grün. Ein sattes, tiefes Grün, das beinahe in Schwarz überging.
Er wollte die anderen gerade darauf aufmerksam machen, als die Maus einen riesigen Satz machte und in hohem Bogen aus der Schale heraussprang. Sie landete auf allen vieren und rannte quer durch das Zimmer und unter das Bett.
»Schnell, fangt sie ein!« Humboldt packte eine Metalldose und rannte um das Bett. »Wir dürfen sie nicht entwischen lassen. Charlotte und Eliza, ihr geht auf die andere Seite. Versucht, sie zu mir rüberzuscheuchen. Komm, Oskar.«
Zu viert versuchten sie, die Maus einzufangen, doch das war leichter gesagt als getan. Das Tier verhielt sich nicht wie eine Maus. Anstatt panisch in eine Richtung zu entwischen, hockte es unter dem Bett und beobachtete seelenruhig, wie die vier Menschen sich abmühten, zu ihm zu gelangen. Erst als Humboldt so weit unter das Bett gekrochen war, dass er sie mit der Hand erreichen konnte, reagierte sie. Ihre Bewegungen wirkten alles andere als ängstlich oder nervös. Kühl und überlegt hüpfte sie über seine Hand, machte einen Schlenker um Eliza herum und steuerte dann schnurstracks auf Wilma zu. Die Kiwidame beobachtete, wie die Maus immer näher auf sie zukam, dann wich sie ängstlich zurück. Plötzlich sahen alle, wohin die Maus wollte.
»Die Tür!«, brüllte Humboldt. »Sie will unter der Tür durch. Charlotte, schnell!«
Doch die Maus war schneller. Charlotte hatte nach einem Handtuch gegriffen und wollte damit eben die Ritze verschließen, da schoss der kleine Nager schon untendurch. Sie sahen noch das Hinterteil und den Schwanz, dann war sie verschwunden.
»Verdammt.« Humboldt krabbelte auf allen vieren zu Tür, riss sie auf – und hielt verdutzt inne.
Die hohe Gestalt des Priors ragte vor ihm auf. In seiner Hand hielt er die Maus, die regungslos an ihrem Schwanz baumelte. Hinter ihm standen weitere Missionare, Männer und Frauen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte alles andere als freundlich.
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»Darf ich fragen, was Sie hier
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