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Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Titel: Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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hat, dass ich völlig versäumt habe, die Augen offenzuhalten.«
    Charlotte wusste genau, wovon Eliza sprach. Ihr ging es nicht anders. Das freundliche Getue des Priors, die merkwürdige Teilnahmslosigkeit der Missionare, im Nachhinein waren das alles Warnsignale. Wenn es nur nicht zu spät war.
    Mit geducktem Kopf rannte sie weiter. Plötzlich blieb sie stehen. Sie hatte etwas entdeckt. Eine kleine Stelle an einer Fensterscheibe im rückwärtigen Teil des Schulgebäudes. Normalerweise hätte sie dem keine Bedeutung beigemessen, doch jetzt waren ihre Sinne geschärft.
    »Was ist denn?«, fragte Eliza.
    »Sieh dir das an.« Charlotte trat näher. In der Scheibe war ein Loch. Allerdings nicht, weil dort etwas herausgebrochen war, sondern weil es weggeschmolzen war. Weggeätzt, genau wie in Bellheims Haus. Charlotte fuhr mit dem Finger über die runden Kanten. »Silizium als Nahrung«, flüsterte sie.
    »Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, so haben wir ihn jetzt«, sagte sie. »Humboldt hatte recht. Die Missionare sind allesamt befallen.«
    Kurze Zeit später erreichten sie die Ställe.
    Die Türen standen weit offen und von drinnen waren klappernde Geräusche zu hören. Eliza legte den Finger auf ihre Lippen und schlich näher. Ein breitschultriger Mann war damit beschäftigt, den Tieren in einem Blecheimer Wasser zu bringen.
    »Was machen wir jetzt?«, flüsterte Charlotte.
    Eliza blickte eine Weile umher, dann schien sie etwas entdeckt zu haben. Sie deutete auf eine Schaufel und machte eine schlagende Bewegung.
    »Du willst ihm eins über den Kopf geben?«
    »Lässt sich nicht vermeiden.«
    »Sei bloß vorsichtig«, flüsterte Charlotte.
    Eliza presste die Lippen zusammen, dann schlich sie los. Der Stallbursche war etwa fünf Meter von ihr entfernt. Den Rücken zugewandt, schüttete er Wasser in die Tränken und legte frisches Heu nach. Eliza packte die Schaufel.
    Noch vier Meter …
    Drei …
    Eliza holte zum Schlag aus. In diesem Augenblick drehte der Mann sich um. Mit grünen Augen starrte er sie an. Eliza zögerte. Einen Moment zu lange.
    Der Mann öffnete seinen Mund. Eine lange gläserne Schlange schoss daraus hervor und wickelte sich um den hölzernen Stiel. Ein Ruck und die Schaufel flog Eliza aus der Hand. Entsetzt sah Charlotte, wie der Mann auf Eliza zuging. Gerade als es keinen Ausweg mehr zu geben schien, stieß Wilma einen Schrei aus. Das Geräusch wurde durch das Linguaphon verstärkt und war so durchdringend, dass Charlotte sich die Hände auf die Ohren legen musste.
    Die Reaktion des Mannes war verblüffend. Er fing an zu zappeln und zu strampeln und kippte dann um wie ein Sack Mehl. Es sah aus, als hätte er einen Krampf. Eliza reagierte schnell. Sie stieg über ihn drüber und öffnete die Stalltüren auf der gegenüberliegenden Seite. »Schnell, Charlotte! Jede zwei Mulis und dann raus! Und vergiss die Sättel nicht.«
    Im Nu waren die Tiere bereit. Charlotte warf einen letzten Blick auf den am Boden liegenden Mann. Sein Anfall war mittlerweile vorüber, doch noch immer machte er keine Anstalten, auf die beiden Frauen loszugehen. Seine Brust hob und senkte sich, während er mit weit aufgerissenen Augen unter die Decke starrte.
    Jetzt endlich kamen Humboldt und Oskar um die Ecke gerannt. Der Blick des Forschers fiel auf den Mann, dann stieß er hervor: »Schnell! Wir sind ihnen entwischt, aber wer weiß, wie lange das noch anhält. Auf die Maultiere, und dann nichts wie los!«

 
36
     
     
    Sie waren etwa einen Kilometer weit gekommen, als Charlotte zum ersten Mal nach hinten blickte. Ihre schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. Die Missionare hatten ihre Flucht bemerkt und waren ihnen dicht auf den Fersen. Der Abstand betrug nicht mal 500 Meter.
    Charlotte trieb ihr Maultier zu größerem Tempo an. Mit halsbrecherischem Tempo trippelte das Tier über Stock und Stein, immer kurz davor, zu straucheln oder in dem dichten Buschwerk hängen zu bleiben. Felsen versperrten ihnen den Weg. Sie mussten Umwege in Kauf nehmen, während sie von dem ausgetrockneten Flussbett immer weiter nach Norden abgetrieben wurden. Das Sirren Hunderter Insekten lag in der Luft. Schon bald befanden sie sich in einer Gegend, die ihr vollkommen unbekannt war. Die Felswände des Tafelbergs rückten immer näher. Die Sonne brannte gnadenlos auf sie herab. Charlotte kam sich vor, als läge sie unter einem Brennglas. Der Schweiß rann ihr in Strömen vom Gesicht. Immer noch war die Staubwolke der Verfolger

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