Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
abgelenkt, um von ihnen Notiz zu nehmen. Mit weit aufgerissenen Augen scharten sie sich um ihren Herrscher, der Humboldts Steinbrocken aufgehoben hatte.
»Woher hast du das?«, ertönte seine krächzende Stimme. »Woher stammt dies Stück?«
»Das werde ich Ihnen erst sagen, wenn Sie uns ungehindert gehen lassen.«
Der Herrscher antwortete nicht. Seine Augen waren unverwandt auf den Stein geheftet. »Gibt es davon noch mehr?«
»Viel mehr. Ich werde es euch verraten, wenn ihr mir dafür versprecht, auch die Sklaven freizulassen.«
»Das verspreche ich.« Die Hand des Alten zitterte, als der den Brocken weiterreichte.
»Ich nehme Sie beim Wort, König Lamarok.«
Der Kopf zuckte hoch. Die roten Augen wurden groß vor Überraschung. »Wo … woher kennst du meinen Namen?«
»Sie sind Lamarok, König der Anak, Gefangener des Fluches der zwei Inseln. Ihre Geschichte ist jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind bekannt. Doch uns bleibt keine Zeit zu plaudern. Wenn ihr wollt, dass ich den Fluch von euch nehme, dann kommt in zwei Tagen um Mitternacht zur Schatzkammer des Tempels von Tengah. Dort werde ich euch zurückgegeben, was man euch gestohlen hat. Merken Sie sich meine Worte: in zwei Tagen.«
Damit kletterte Humboldt an Bord des wackeligen Gefährts. Das Wasser schäumte jetzt gewaltig. Riesige Blasen stiegen aus der Tiefe auf, spritzten in die Höhe und benetzten die Höhlenwände. »Haltet euch fest«, hörte Oskar seinen Vater über das Rauschen hinweg rufen. Der Boden unter ihren Füßen begann wie wild zu schwanken. Dann entlud sich die Wassersäule mit ungeheurer Kraft. Oskar stieß einen Schrei aus und wurde zu Boden geschleudert. Ein ohrenbetäubendes Brausen erklang. Kühle Tropfen spritzten ihm ins Gesicht. Er sah noch, wie eine weiße Wand aus Wasser seitlich neben ihnen aufstieg, dann fühlte er einen plötzlichen Druck im Magen. Die Höhlendecke kam auf sie zugeschossen und der Bovist sauste durch das Loch in der Decke. Dann wurde es dunkel.
46
Die aufsteigende Wassersäule drückte den Pilz wie einen Ball durch einen Gartenschlauch. Immer höher und höher schossen sie den engen Stollen hinauf. Die Geschwindigkeit presste Charlotte zu Boden. Wind blies ihr ins Gesicht, ließ die klatschnasse Kleidung auf ihrer Haut flattern und trieb die Wärme aus ihren Gliedern.
Sie schlang die Arme um ihren Körper und biss die Zähne zusammen. Die Dunkelheit war allgegenwärtig. Nichts als immerwährende Schwärze und donnerndes Rauschen. Sie kauerte sich nah an Oskar heran. »Wie weit sind wir wohl schon gekommen?«
»Keine Ahnung, aber es müssen etliche Kilometer sein.« Seine Stimme war kaum zu verstehen.
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe im Geiste mitgezählt. Es müssen ungefähr fünf Minuten sein, und das bei diesem Tempo.«
»Wie konnte Humboldt wissen, wann der Geysir lossprudeln würde?«
»Ich glaube, er hat die Zeit zwischen zwei Ausbrüchen gemessen und so deren Häufigkeit berechnet«, rief Oskar.
»Das ist doch Wahnsinn«, erwiderte Charlotte. »Er konnte doch nicht ahnen, dass dieser Schacht so lang sein würde. Und ob wir nicht irgendwann einfach gegen eine Wand knallen?«
»Vielleicht hat er geraten, vielleicht kennt er solche Höhlensysteme schon. Manche Dinge verstehe ich auch nicht so ganz, aber ich glaube, wir dürfen uns nicht mit ihm vergleichen. In seinem Kopf geht es zu wie in einer Registrierkasse.«
»Dann hoffen wir, dass er sich nicht verrechnet hat und wir nicht am Ende dieses Stollens durch einen schmalen Felsspalt gepresst werden. Dann dürfte unsere Expedition ein ziemliches unrühmliches Ende nehmen.« Sie hob den Kopf. »Hörst du das?«
»Was denn?«
»Na das da.« Über das gleichförmige Rauschen des Wassers hatte sich ein anderer Klang gelegt. Er war schwer zu beschreiben, aber es war ein Geräusch wie in einem Hallenbad. Wie Wasser, das in einem sehr großen Raum verspritzt wurde. Der Hall wurde von einer Vielzahl von Echos gespeist.
Und er wurde zunehmend stärker.
»Klingt wie ein Wasserfall«, sagte Oskar.
Ohne etwas zu sehen – es war immer noch stockdunkel –, spürte Charlotte, dass das Ende ihrer stürmischen Reise nahte. Instinktiv ergriff sie Oskars Hand.
In diesem Moment fühlte sie, wie sie hoch in die Luft katapultiert wurde, einen Moment lang in der Schwerelosigkeit hing und dann abstürzte. Ein Schrei entrang sich ihrer Kehle. Mit einer Heftigkeit, die ihr die Luft aus der Lunge presste, schlugen sie auf. Dem Klatschen nach
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