Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Arm in einer Schlinge hing. Ein kleiner, sauertöpfischer Geselle mit dem Aussehen eines Kirchendieners. Strenge Gesichtszüge, dünnes graues Haar und eine goldumrandete Brille mit Gläsern, dick wie Flaschenböden. Das Seltsamste aber war sein Hut. Er war rot und mit einem dunkelgrünen Bommel verziert wie bei einem türkischen Fes. Der Mann sah eher aus wie eine Figur aus einem Bilderbuch als ein Gelehrter.
Während Charlotte noch versuchte sich zu erinnern, an wen sie der Kerl bloß erinnerte, ertönte neben ihr ein Poltern. Humboldt war von seinem Stuhl hochgeschossen. Mit einem grimmigen Ausdruck im Gesicht funkelte er den Neuankömmling an.
»Lilienkron.«
Der kleine Mann kniff die Augen zusammen.
»Donhauser!«
Seine Stimme war recht hoch für einen Mann seines Alters, doch das war unwichtig angesichts der Tatsache, dass die beiden sich offenbar kannten. Humboldt hatte nie viel aus seiner Vergangenheit erzählt, daher versprach die Begegnung interessant zu werden.
»Was tun Sie hier?«, knurrte Humboldt.
»Arbeiten, und Sie?«
»Ich wurde eingeladen.«
Wütende Blicke schossen hin und her. Charlotte spürte, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die beiden sich an den Kragen gingen. Es kam jedoch nicht dazu, denn in diesem Augenblick trat Sprengler dazwischen. »Aber, aber, meine Herren. Bei allem Respekt, ich möchte Sie doch bitten, die Grundformen der Höflichkeit einzuhalten. Darf ich vorstellen, mein geschätzter Kollege Professor Konrad Lilienkron von der geologischen Fakultät Potsdam. Professor, dies sind Frau Molina, Fräulein Riethmüller und Herr Wegener. Herrn Donhauser kennen Sie ja bereits. Bitte, Professor, setzen Sie sich doch zu uns. Hier ist ein Stuhl. Und Sie, Herr Donhauser, nehmen auch bitte wieder Platz. Es redet sich viel besser im Sitzen.«
Zögernd und mit offenkundigem Widerwillen ließen sich die beiden Gelehrten auf ihre Stühle sinken. Man konnte förmlich spüren, dass sie gerne wieder aufspringen wollten. Sprengler, der zu klug war, um das nicht zu bemerken, ergriff das Wort.
»Ich freue mich, zwei so berühmte Männer in meinem Büro begrüßen zu dürfen. Sie glauben gar nicht, wie sehr ich diesem Moment entgegengefiebert habe. Der Grund, warum ich Sie heute hierhergebeten habe, hängt mit der Reise zusammen, die Professor Lilienkron vor zwei Monaten angetreten hat. Er wird uns nachher selbst davon berichten. Doch bevor ich ihm dazu Gelegenheit gebe, möchte ich Ihnen ein Schreiben zeigen, welches vor knapp einer Woche an mich telegrafiert wurde.«
Er öffnete eine Schreibtischschublade und holte ein Dokument heraus, das er vor sich auf den Tisch legte.
»Es stammt von Jan Poortvliet, dem Generalgouverneur der Insel Java mit Sitz in Batavia. Wie Sie vermutlich wissen, gehört Java, zusammen mit einigen anderen Inseln, zum Hoheitsgebiet der Niederlande. Zu Niederländisch-Indien, wie die korrekte Bezeichnung lautet. Poortvliets Verantwortung unterliegt der Handel mit Europa. Java exportiert wichtige Güter wie Palmöl, Reis, Erdnüsse, Kakao, Kaffee und Tee. Kolonialwaren, denen in unserer Welt immer größere Bedeutung zukommt. Die Arbeiter sind allesamt Einheimische, werden aber von niederländischen Großgrundbesitzern kontrolliert. Jeder Tag, an dem nicht gearbeitet wird, bedeutet Einbußen für die Handelsföderation. Wenn die Arbeit mehrere Tage am Stück liegen bleibt, grenzt das an eine Katastrophe. Felder verdorren, Früchte verfaulen und Schiffe bleiben vor Anker liegen. Schiffe, die gewaltige Kosten verursachen, selbst wenn sie nur am Kai liegen. Ganz zu schweigen von den Seeleuten, die aus lauter Langeweile die Hafenviertel unsicher machen. Kurzum: Die Maschine muss laufen. Tut sie das nicht, gibt es Probleme. Das niederländische Konsulat meldet sich bei unserem Außenminister, der Außenminister beim Wirtschaftsminister. Der wiederum meldet sich beim Forschungsminister und der kommt dann zu mir mit der Anfrage, ob wir nicht unseren niederländischen Handelspartnern unter die Arme greifen können. Natürlich steckt hinter dieser Bitte ein Befehl, der da lautet: Sprengler, kümmern Sie sich darum! Wasser fließt von oben nach unten, so ist das nun mal. Und hier stehe ich nun, als letztes Glied in der Kette, und bin ein wenig ratlos, weil ich niemanden finden kann, der dieser Aufgabe gewachsen ist.«
»Ich wollte diese Reise antreten, aber Sie lassen mich ja nicht«, schnauzte Lilienkron.
»Darüber haben wir doch schon gesprochen, Professor.
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