Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Ich kann Ihnen diesen Forschungsauftrag nicht noch einmal überlassen. Nicht nachdem, was vorgefallen ist.«
»Ich habe einen Fehler begangen, das gebe ich zu. Ich war zu voreilig und habe die Situation falsch eingeschätzt. Aber jetzt habe ich mich ausreichend informiert und bin bereit, es noch einmal zu versuchen. Überlassen Sie mir den Auftrag, ich werde Sie nicht enttäuschen.«
»Das kann ich nicht, das wissen Sie. Mir sind die Hände gebunden«, sagte Sprengler. »Sie haben Ihre Chance bekommen und sind mit leeren Händen heimgekommen. Ich habe mich wirklich für Sie eingesetzt, aber alles, was ich herausholen konnte, war eine zweite Expedition unter anderer Führung.«
Lilienkron verschränkte die Arme und verzog sich in sein Schneckenhaus.
»Es würde vielleicht helfen, wenn Sie uns erklären könnten, um was es eigentlich geht«, hakte Humboldt nach. »Bis jetzt haben wir nur Andeutungen gehört.«
Sprengler nickte. »Sie haben recht. Allerdings ist die Sache reichlich nebulös. Laut Poortvliet fing es vor knapp zwölf Jahren mit der Explosion des Vulkans Krakatau an. Sie werden sich erinnern: Die Sache schlug damals ziemliche Wellen. Nicht nur im Ozean – da vor allem –, aber auch in der Weltpresse. Die Explosion des Vulkans gilt bis zum heutigen Tag als größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte, noch vor dem Ausbruch des Vesuv und dem Untergang von Pompeji. Die gesamte Insel flog in die Luft, heute ist davon kaum noch etwas zu sehen. Seit dieser Katastrophe will die Erde dort einfach nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder gibt es Erdbeben. Die Vulkane brodeln. Nun ist das nicht weiter verwunderlich, schließlich befinden wir uns im pazifischen Feuergürtel. Was die Sache aber prekär macht, sind die Berichte aus unterschiedlichen Teilen des Landes, in denen von seltsamen Geschöpfen die Rede ist, die Häuser und Dörfer überfallen und Menschen und Tiere entführen. Niemand weiß, woher diese Kreaturen kommen oder wohin ihre Opfer gebracht werden. Offenbar hinterlassen die Wesen kaum Spuren. Die Überfälle finden ausschließlich nachts statt, wenn alles schläft. Die Beschreibungen gehen auseinander. Mal ist von zweibeinigen Ziegenböcken mit Hörnern die Rede, die wie Teufel aussehen, dann wieder von geduckt laufenden Wesen mit langen Armen, ähnlich den Orang Utans, und Augen, groß wie Untertassen. Gouverneur Poortvliet hält das für abergläubisches Geschwätz, aber auch er kann nicht leugnen, dass die Bevölkerung in Angst und Schrecken lebt. Ihr Anführer, ein Mann namens Bhamban der Dritte, hat eine Lotterie ins Leben gerufen, bei der einmal im Monat ein junges Mädchen ausgelost wird, um diesen Kreaturen als Geschenk dargebracht zu werden. Barbarisch, ich weiß, aber es scheint zu funktionieren. Die Übergriffe sind seitdem seltener worden. Was Poortvliet betrifft: Er duldet dieses Verfahren zwar, aber als Mann mit Kultur und Bildung kann er es selbstverständlich nicht gutheißen. Sein Ziel ist es, eine natürliche Ursache der Vorkommnisse zu finden.« Sprengler breitete die Hände auf dem Tisch aus. »Das sind die Fakten. Viel mehr ist es nicht, fürchte ich. Ehe ich jetzt Professor Lilienkron bitte, uns seine Erlebnisse zu schildern, möchte ich Sie fragen, lieber Herr Donhauser, ob Sie sich grundsätzlich vorstellen könnten, die Leitung einer solchen Expedition zu übernehmen. Ich weiß, Java ist weit weg und die Reise wird lange dauern, aber ich kann Ihnen versichern, dass es sich für Sie lohnen wird. Nicht nur, dass die niederländische Handelsföderation Ihnen ein beträchtliches Honorar zahlen wird, ich möchte Ihnen überdies das Angebot machen, Sie mit vollen Ehren und Titeln zurück an die Universität zu holen. Sie würden einen eigenen Lehrstuhl erhalten, dürften wieder unterrichten und publizieren und wären ein vollwertiges Mitglied unserer Akademie. Was sagen Sie?«
Alle Augen richteten sich auf Humboldt. Aus der linken hinteren Ecke drang das Ticken der Standuhr zu ihnen herüber.
Charlotte sah ihren Onkel an. Humboldt war tief in Gedanken versunken. »Ihr Angebot ehrt mich, Herr Sprengler«, sagte er nach einer Weile. »Ich glaube tatsächlich, dass Sie Ihrem Ruf als Erneuerer der Universität gerecht werden. Trotzdem muss ich Ihr Angebot ablehnen. Ich war lange genug an dieser Einrichtung, um zu wissen, dass sich die Strukturen, die mich zum Austritt bewogen haben, nicht so schnell ändern. Selbst wenn der Kopf jung und intelligent ist, der Körper ist es noch
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