Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
meinem Haus eine hohe Ehre erwiesen.«
»Die Freude war ganz auf unserer Seite«, sagte Humboldt in perfektem Chinesisch. »Aber es ist selbstverständlich, dass wir für unsere Kosten aufkommen.« Er drückte dem Gastwirt eine Münze in die Hand und fragte dann: »Ist das ausreichend?«
»Das ist … sehr großzügig«, stammelte Men Chu mit Blick auf die Goldmünze. »Ihr seid ein Mann von Ehre, Herr Humboldt. Bitte besucht uns erneut, sobald Ihr wieder in der Stadt seid.«
Humboldt lachte. »Das werden wir. Und wir werden einen gesegneten Appetit mitbringen, das verspreche ich.«
Die Straßen wimmelten von Menschen aller Farben und Nationalitäten. Chinesen, Japaner, Inder und Araber. Auch ein paar Europäer waren darunter, vorzugsweise Niederländer, Spanier, Italiener und Portugiesen. Einige Wachleute sorgten dafür, dass die Menge auf Abstand blieb und eine Gasse frei gehalten wurde. Aufgeregtes Stimmengewirr erfüllte die Luft. Charlotte hielt den Atem an. Jetzt war klar, woher das Dröhnen stammte. Vor ihr ragten zwei gewaltige graue Leiber in die Höhe. Sie waren über und über mit farbigen Symbolen verziert und trugen kastenförmige Aufsätze auf ihren Rücken. Die Tragevorrichtungen besaßen ein Stoffdach und waren ebenfalls farbig bemalt. Befestigt waren sie mit breiten Lederriemen, die sowohl im Brust- wie auch im Hüftbereich unter den tonnenförmigen Leibern hindurchführten.
»Elefanten«, stieß sie aus. »Es sind tatsächlich Reitelefanten.«
»Aber natürlich«, sagte Van Bakken. »Das angemessene Reittier für einen Besuch beim König. Herr Humboldt, wären Sie so gut, mit Ihrer Begleiterin und Professor Lilienkron auf diesem Tier hier Platz zu nehmen? Dann können die jungen Leute auf den kleineren Elefanten klettern. Und seien Sie unbesorgt. Die Tiere sind absolut friedlich.«
Charlotte konnte sich gar nicht sattsehen. Die Augen, die sie aus den gewaltigen Schädeln anblickten, leuchteten braun und sanft. Die Rüssel waren dick wie Baumstämme und mit einer Vielzahl von Borsten und Runzeln bedeckt.
»Großer Mann«, stieß Wilma aus. »Sehr großer Mann mit langer Nase. «
»Das ist kein Mann«, flüsterte Charlotte. »Das ist ein Elefant. Das größte Landlebewesen auf der Erde. Halt lieber den Schnabel. Ich habe gehört, dass Elefanten sich vor Mäusen fürchten. Vielleicht haben sie auch etwas gegen Kiwis.«
Wilma verstummte. Offenbar war ihr Respekt doch größer als der Drang, immer das letzte Wort zu behalten.
Einer der Elefantenführer winkte sie zu sich herüber. Mit fester Hand ergriff er die Leiter und zeigte ihr, wie man nach oben kletterte.
Charlotte erklomm den Berg aus Muskeln, Fett und grauer Haut. Ein animalischer Geruch schlug ihr entgegen.
Die Tragekonstruktion war geräumiger, als es von unten den Anschein gehabt hatte. Ein paar Bänke, ein schmaler Handlauf und ein luftiger Baldachin, der einen vor der brennenden Sonne schützte. Das Tuch flatterte im Wind leicht hin und her. Als alle saßen und sich festhielten, erklommen die Reiter die Nacken der Tiere, ließen ihre Peitschen knallen und los ging es.
Das Gefühl, auf einem Elefanten zu reisen, war anders als alles, was Charlotte je erlebt hatte. Es war, als würde man in einem Boot sitzen, das von einem sanften Wellengang hin- und hergeschaukelt wurde. Die Bewegungen waren so gemächlich und beruhigend, dass sie bald von alleine mit dem Rhythmus mitging. Es war eine erhabene, ja geradezu majestätische Art des Reisens. Die Menschen traten zur Seite, machten Platz und winkten lachend zu ihnen empor. Elefanten schienen überall gerne gesehen zu werden. Vermutlich galten sie in diesem Land als heilige Tiere.
Häuser und Tempel glitten an ihnen vorüber. Sie durchquerten das Südtor, verließen die Stadt und befanden sich schon bald in einer fruchtbaren Ebene, die von grünen Hügeln gesäumt war. Der breiten Straße folgend, ritten sie in südlicher Richtung weiter. Sie begegneten etlichen Fuhrwerken und Pferdegespannen, die jedoch Platz machten, sobald sie die Elefanten sahen.
Charlotte betrachtete die Felder, Weiden und Plantagen, die intensiv bewirtschaftet wurden. Kleine Gehöfte kauerten im Schatten üppiger Palmen, derweil ihre Bewohner auf den Feldern arbeiteten. Die Bauern trugen breite, spitz zulaufende Hüte und einfache Stoffkutten, die mit Kordeln um ihre Hüften zusammengehalten wurden. Kinder trieben Schweine, Gänse oder Kühe umher, während die Erwachsenen weiter draußen
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