Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Halten mehr gab und die Zeit, von der die Verkünder gesprochen hatten, nah war.
Ohne sich ein letztes Mal umzudrehen, setzte sich der Beobachter in Bewegung. Sein Herr konnte zufrieden sein. Der Augenblick war gekommen.
23
Der Abend begann mit Feuer und Fackeln. Das ganze Dorf hatte sich versammelt, um den Gästen ein Fest zu bieten, wie diese es noch nicht gesehen hatten.
Der Barong war ein Tanz, der auf den Reliefs alter Hindu-Tempel beruhte und ein fester Bestandteil vieler Dorffeste war. Zu den Melodien von fünf Gamelan-Musikern, die auf runden Klangplatten, Gongs und Trommeln spielten, bewegten sich zwei junge Legong-Tänzerinnen in eng anliegenden Gewändern aus Goldbrokat und Seide. Sie bewegten sich absolut synchron, sodass die feinen Bewegungen von Kopf, Augen und Händen genau abgestimmt waren.
Dann begann das Schauspiel. Oskar konnte nicht behaupten, alles zu verstehen, was er da sah, aber das war nicht wichtig. Offenbar handelte es sich um eine Art Liebesgeschichte, in der auch etliche Götter und Fabelwesen vorkamen. Da gab es Löwen, Hexen und Hexenmeister und natürlich eine wunderschöne Prinzessin, um die alle kämpften.
Am Schluss – das hatte Dimal ihnen erklärt – endete der Kampf unentschieden. Im Glauben der Tengger können sich Gut und Böse nicht gegenseitig besiegen; im menschlichen Leben existieren beide letztlich immer nebeneinander.
Oskar schloss sich dem minutenlangen Applaus an. Die Schauspieler, Tänzer und Musiker standen auf und verbeugten sich.
»Bravo!« Charlotte saß kerzengerade neben ihm. Das Licht der Fackeln ließ ihre Haut wie Gold schimmern. »Ein wundervolles Stück, nicht wahr? Diese Kostüme und Masken. Ich bin ganz und gar überwältigt.«
»Es war fantastisch«, stimmte Oskar zu. »Genau das Richtige, um einen nach diesem anstrengenden Tag auf andere Gedanken zu bringen.«
Der Ausflug in die Schlucht steckte ihm immer noch in den Knochen. Und dabei war es helllichter Tag gewesen. Wie musste es dort erst sein, wenn es Nacht war? Er mochte gar nicht darüber nachdenken, dass sie morgen schon wieder dorthin mussten. Wenn es nach ihm ginge, könnten sie noch ein paar Tage in diesem Dorf verbringen und dann zurückreisen. Aber sein Vater war fest entschlossen, den Eingang zu erkunden. Er schien sich durch nichts von seinem Plan abbringen zu lassen und so hatten sie vorhin gemeinsam die Ausrüstung zusammengestellt. Seile, Lampen, Kletterhaken, Proviant. Man konnte fast den Eindruck haben, sie sollten mehrere Tage dort unten verbringen.
Charlotte nahm seine Hand und legte ihren Kopf an seine Schulter. Oskar spürte, wie ihm warm ums Herz wurde.
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er Lenas Blick. Ihre Augen wirkten kühl, auch wenn er vermutete, dass sie innerlich kochte. Sie wandte sich ab und malte mit einem Stock Bilder in den Sand.
»Kümmere dich nicht um sie«, flüsterte Charlotte. »Lass ihr Zeit, sie wird schon darüber hinwegkommen.«
Oskar hatte da so seine Zweifel. Er kannte Lena gut genug, um zu wissen, dass sie nicht so schnell aufgeben würde. Als wolle sie ihm demonstrieren, dass sie ihn nicht brauchte, wandte sie sich dem Prinzen zu und begann eine Unterhaltung mit ihm. Wie schnell sie ihre Strategie wechseln konnte. Oskar musste grinsen. Lena war schon immer für Überraschungen gut gewesen.
»Wo ist eigentlich Lilienkron?«, fragte er mit einem Blick in die Runde.
»Keine Ahnung. Ich glaube, er wollte sich früh zurückziehen. Irgendetwas mit seinem Magen, wenn ich mich recht erinnere.«
»Er wirkte heute so ganz anders«, sagte Oskar.
»Was meinst du?«
»Ich weiß nicht genau. Mir ist es aufgefallen, als wir unten im Graben waren. Da schien es, als wolle er am liebsten gleich wieder verschwinden. Und dass, obwohl er es doch vorher gar nicht erwarten konnte, hierher zurückzukehren.«
»Wundert dich das? Immerhin ist er beim letzten Mal einem dieser Viecher begegnet. Ich glaube, ihm ist plötzlich klar geworden, wie verrückt diese ganze Aktion eigentlich ist.«
»Möglich«, erwiderte Oskar, doch so ganz überzeugt war er nicht. Der Forscher hatte auf ihn nicht ängstlich gewirkt, nur verschlossen. Als wolle er verhindern, dass sie vor ihm diese seltsame Treppe beträten.
Er konnte den Gedanken nicht fortsetzen, denn in diesem Moment kam Humboldt zu ihnen herüber. »Schluss mit der romantischen Stimmung. Es wird Zeit fürs Bett. Morgen wird ein harter Tag und wir müssen früh raus. Ich will, dass alle ausgeschlafen
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