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Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Titel: Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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hatte ich die Haare offen, mal hochgesteckt. In manchen Szenen war ich fröhlich, in manchen traurig. Es war immer ich und immer zur selben Zeit – doch in verschiedenen Welten. Und immer endete das Bild an genau derselben Stelle. Am 18.   Juni 1895 um neun Uhr und zehn Minuten wurde der Spiegel schwarz. Leere. Dunkelheit. Vergessen.
    Geliebter, ich habe dir nichts von dieser Vision erzählt, weil ich dich nicht belasten wollte. Sensibel, wie du bist, hast du es trotzdem gespürt, aber du hattest eine schwere Aufgabe zu erfüllen und benötigtest deine ganze Kraft. Doch jetzt, wo alles ein gutes Ende gefunden hat, kann ich endlich zu dir sprechen. Der Schwarze Spiegel ist zerbrochen. Meine Aufgabe ist erfüllt. Ich habe dich so lange begleitet, wie ich konnte, doch jetzt ist die Zeit des Abschieds gekommen. Behalte mich so in Erinnerung, wie ich war, und weine nicht den Jahren hinterher. Sie waren zu schön, um sie mit Traurigkeit zu überschatten. Hilf mir, meine Heimreise anzutreten. Ich habe meine Familie per Brief informiert, damit sie vorbereitet ist. Mit ihrer Hilfe werde ich mein früheres Leben wieder aufnehmen.
    Humboldt, mein Geliebter, es ist Zeit.
    Alles, was ich dir noch zu sagen hätte, würde nicht auf dieses Papier passen, deshalb lasse ich es. Ich denke, du weißt auch so, was ich für dich empfinde. Leb wohl, Geliebter. In unseren Träumen begegnen wir uns wieder.«
    Charlotte senkte den Brief.
    Â»Das verstehe ich nicht«, schniefte sie. »Was heißt, sie wird nicht mehr bei uns sein? Sie ist doch hier.«
    Â»Ihr Körper, ja«, sagte Humboldt. »Ihr Geist aber ist an einem anderen Ort.«
    Â»Was heißt das? Bedeutet es, dass sie nie wieder erwachen wird?«
    Humboldt legte Charlotte seinen Arm um die Schulter. »Das kann ich dir nicht sagen, mein Kind. Niemand weiß das. Aber solange sie am Leben ist, besteht Hoffnung.« Er ließ die Schultern sinken. »Ich habe lange überlegt, ob ich euch den Brief überhaupt zeigen soll, weil es doch ein Abschiedsbrief ist und weil er nur an mich gerichtet ist. Aber er enthält eine wichtige Botschaft. Ich glaube, er ist eine Art Schlüssel.«
    Â»Was denn für ein Schlüssel?«, fragte Oskar, dem selbst ganz trübselig zumute war.
    Â»Ein Hinweis, dass ich mit meiner Theorie über das Gesetz doch nicht falschgelegen habe. Überlegt doch mal: Was Eliza dort beschreibt, ist nichts anderes als das, was ich euch eben zu erklären versucht habe. Eine Beschreibung, dass das Gesetz des Chronos tief und unauslöschlich in der Natur verankert ist. Bestimmte Ereignisse laufen nicht einfach willkürlich ab. Sie bauen aufeinander auf, sie bedingen einander. Sie hinterlassen ihr Echo im Gedächtnis unserer Welt.« Seine Augen schimmerten traurig. »Das ist eine ganz fundamentale und grundlegende Erkenntnis, denn sie bedeutet, dass die Zukunft zwar nicht vorherbestimmt ist, dass sie aber doch nach einem bestimmten Schema oder Plan abläuft. Wir können nicht blindlings alles ändern, wie wir wollen. Manche Ereignisse sind einfach dazu bestimmt , zu einer bestimmten Zeit zu geschehen. Was wir tatsächlich steuern können, ist, wann und in welcher Intensität sie passieren werden.«
    Â»Und was bedeutet das konkret in unserem Fall?«, fragte Charlotte, deren Wangen immer noch feucht von Tränen waren.
    Humboldt faltete die Hände und blickte zu Boden. »Tja, wie sage ich es euch am besten? Es fällt mir wirklich schwer. Nicht nur, weil diese Theorie noch so neu und ungewohnt ist, sondern weil sie unser aller Leben betrifft. Am besten, ich sage es so klar und unmissverständlich wie möglich. Auch wenn ich gehofft habe, dass unser Eingreifen diese Erde zu einem besseren Ort macht, so kann ich euch die Angst vor einem Krieg leider nicht vollständig nehmen. Die Ereignisse waren zu stark, als dass sie einfach spurlos an uns vorübergehen werden. Vermutlich werden wir noch einige Jahrzehnte Zeit haben, doch irgendwann wird es geschehen: Es wird zum Krieg kommen. Vielleicht nicht so lang und so schrecklich, wie in den Unterlagen beschrieben, aber dennoch unausweichlich. Das Echo dieses Krieges hallt bis in den hintersten Winkel des Universums. Er wird seine Spuren hinterlassen. Seid deswegen vorbereitet. Trefft Pläne und lasst euch von den Ereignissen nicht überrollen. Das ist die Erkenntnis, die ich gewonnen habe und aus der wir alle

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