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Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Titel: Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Form noch nie vernommen habe. Stimmt es, Herr von Humboldt, dass Ihre Lebensgefährtin von der Insel Hispaniola stammt?«
    Â»Von der Westhälfte, ganz recht. Sie wurde in Haiti geboren und ist dort aufgewachsen. Wir begegneten uns vor neun Jahren und sie entschloss sich, mir zu folgen.«
    Â»Dann hat sie die deutsche Sprache aber in sehr kurzer Zeit erlernt.«
    Â»Das ist wahr. Eliza war schon immer ein Sprachtalent.«
    Weißhaupt nickte betrübt. »Das bestätigt meine Vermutung. Sehen Sie, Menschen, die sehr schnell und effektiv eine Sprache erlernen, bewerkstelligen dies meist mit ihrem ausgeprägten musikalischen Gehör. Sie haben ein besonderes Gedächtnis für Konnotation, Aussprache und Melodiebögen. Eine Sprache wird bei ihnen erlernt, wie unsereins ein Lied oder eine Melodie auswendig lernt. Ganz anders als Menschen, die sich eine Sprache mühsam über ihr visuelles Gedächtnis antrainieren, indem sie Texte lesen und versuchen, diese in Zusammenhang mit dem soeben Gehörten zu bringen. Diese Form ist bedeutend langwieriger, allerdings auch nachhaltiger, weil sie verschiedene Sinneseindrücke miteinander verbindet.«
    Â»Eliza hat kaum gelesen«, sagte Humboldt. »Wenn sie etwas gehört hat, konnte sie es sich sofort merken.«
    Â»Sehen Sie? Und genau da liegt das Problem. Sind die auditiven Erinnerungen verschwunden, verschwindet meist auch unsere Fähigkeit, fremde Sprachen zu sprechen. Was bleibt, ist dann oft nur die Muttersprache.«
    Â»Haitianisch?«, fragte Oskar. »War das, was wir gehört haben, haitianisch?«
    Â»Davon gehe ich aus«, sagte Weißhaupt. »Aber da ist noch etwas anderes. Obwohl die Forschung in diesem Bereich noch in den Kinderschuhen steckt, bin ich der Meinung, dass wir alle über einen Zeitsinn verfügen. Zeitwahrnehmung ist dem Menschen angeboren. Ohne die Wahrnehmung von zeitlichen Veränderungen könnten wir keinen Ball fangen, kein Musikinstrument spielen oder andere Alltagssituationen richtig einschätzen – wir wären nicht lebensfähig. Meine Kollegen und ich sind der Meinung, dass das Zentrum für zeitliche Wahrnehmung sehr nahe dem Bereich liegt, den wir als auditiven Cortex bezeichnen – das Hörzentrum. Beides liegt in derselben Region des Gehirns und beides wurde bei Frau Molina durch den Sturz stark in Mitleidenschaft gezogen. Sie sollten also nicht erschrecken, wenn sie sich an nichts mehr erinnert.«
    Â»Ist sie denn ansprechbar?«
    Â»Das schon. Aber Sie werden bei Ihrer Unterhaltung nicht viel Glück haben, es sei denn, Sie beherrschen Haitianisch.«
    Auf Humboldts Gesicht stahl sich ein kleines Lächeln. »Lassen Sie das unsere Sorge sein. Mit fremden Sprachen kennen wir uns aus.«
    Eliza lag am Fenster und blickte hinüber zu der grünen Kastanie. Zwei Eichhörnchen lieferten sich in den Ästen eine lautstarke Verfolgungsjagd, in deren Verlauf die meisten Vögel entnervt davonflogen. Auf Elizas Gesicht war ein Lächeln zu sehen, das jedoch sofort verschwand, als sie den Besuch bemerkte. Sie richtete sich auf und sah sie neugierig an.
    Â»Ich grüße Sie, Frau Molina«, sagte Professor Weißhaupt. »Hier sind einige Besucher, die sich gerne mit Ihnen unterhalten würden. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich ein paar Stühle an Ihr Bett stelle?«
    Â»Kiyès yo ye?«
    Â»Ich glaube, Sie möchte wissen, wer Sie sind«, sagte der Professor.
    Humboldts Lächeln wich einem Ausdruck von Besorgnis. »Dann erkennt sie uns tatsächlich nicht wieder?«
    Â»Ich fürchte, nein.«
    Â»Oh, das ist … nun ja.« Er räusperte sich. »Mein Name ist Carl Friedrich von Humboldt. Erinnerst du dich? Wir wohnen zusammen in meinem Haus am Plötzensee.« Er trat mit ausgestreckter Hand auf sie zu, doch Eliza rutschte nach hinten und zog die Bettdecke hoch.
    Â»Carl Friedrich? Pa janm tande pale de li. Mwen pa konprann.«
    Der Forscher runzelte die Stirn. »Ich glaube, Sie hatten tatsächlich recht. Das ist Kreolisch. Genauer gesagt Fablas.«
    Â»Fablas?« , fragte Charlotte.
    Â»Elizas Muttersprache. Neben Plateau die zweite Sprache, die auf Haiti gesprochen wird.«
    Â»Ich kann mich nicht erinnern, dass Eliza jemals in ihrer Muttersprache zu uns gesprochen hätte«, sagte Oskar.
    Â»Weil es die Sprache der Sklaven ist«, erwiderte der Forscher.» Nicht dass sie sich dafür

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