Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
unsere Lehre ziehen sollten. Ob es wirklich zu einer Herrschaft der Maschinen kommen wird, darüber wage ich nicht zu spekulieren. Doch das werden wir ohnehin nicht mehr miterleben.« Er lieà die Hände auf seine Schenkel sinken. »Tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten für euch habe, aber ich denke, es ist besser, wenn man weiÃ, was auf einen zukommt, nicht wahr?«
Oskar und Charlotte sahen sich an und schwiegen betroffen.
Könnte es wahr sein, dass wirklich ein neuer Krieg bevorstand? Oder hatte Humboldt sich da in etwas verrannt? Konnte doch sein, dass die Dokumente und Elizas Brief etwas ganz anderes bedeuteten. Zugegeben, die Ãbereinstimmungen waren verblüffend, aber vielleicht war es doch zu weit gegriffen, daraus gleich ein Naturgesetz ableiten zu wollen. Denn wenn es tatsächlich in den nächsten Jahrzehnten zu einem Krieg kommen würde, was wurde dann aus ihnen? Was aus dem Haus, aus ihren Forschungen, dem Studium?
Wenn Oskar eines auf ihren Reisen gelernt hatte, dann, dass die Zukunft nicht festgeschrieben war. Dass sie sich im ständigen Wandel befand. Man konnte sie formen und verändern, wenn man mit ganzer Kraft dafür kämpfte. Er selbst war doch der beste Beweis. Vor einigen Jahren noch ein einfacher StraÃenjunge, war er jetzt jemand, den alle Welt kannte. Der Junge, der dem Kaiser das Leben gerettet hatte.
Er hob den Kopf und sah Charlotte an. Sie lächelte zurück. Sie schien genau dasselbe gedacht zu haben wie er. Nicht aufgeben , schien sie sagen zu wollen. Wir machen weiter wie bisher und lassen uns nicht unterkriegen . Dann wird alles gut.
Ihre Finger tasteten nach den seinen, dann ergriff sie seine Hand. Sie fühlte sich warm und kräftig an.
Er wollte sie gerade drücken, als Eliza plötzlich die Augen aufschlug.
»Ede! Mi la ou yé?«
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D er Chef der Hirnchirurgie der Charité, des gröÃten und bedeutendsten Krankenhauses von Berlin, saà auf der Fensterseite seines imposanten Schreibtischs und machte einen ziemlich ratlosen Eindruck. Tatsächlich fand Charlotte, dass er aussah wie ein Student, der soeben durchs Staatsexamen geflogen war.
»Ja also â¦Â«, begann er umständlich und blickte dabei auf das Klemmbrett mit den Untersuchungsergebnissen. Es war ein ziemlich groÃes Klemmbrett und der Stapel von Papieren, die daran befestigt waren, war nicht minder eindrucksvoll.
»Ich weià nicht, wie ich es Ihnen sagen soll â¦Â«
»Am besten einfach und geradeheraus«, sagte Humboldt. »Glauben Sie mir, uns sind ungewöhnliche Neuigkeiten nicht fremd.«
»Das wird sich zeigen. Na schön.« Professor WeiÃhaupt lieà das Klemmbrett auf den Tisch sinken. »Vielleicht fange ich erst einmal mit der guten Nachricht an. Frau Molina ist aus ihrem Koma erwacht und zeigt, soweit ich das bis jetzt beurteilen kann, normale geistige und motorische Reaktionen. Will sagen, sie reagiert auf Sinnesreize wie Licht, Töne und Berührungen. Sie ist in der Lage, eine dargebotene Tasse zum Mund zu führen, zu essen und zu trinken, ja sogar aufzustehen und das Fenster zu öffnen. Alles so weit in Ordnung. Natürlich muss sie sich am Anfang noch etwas schonen, ich bin aber sicher, dass wir sie binnen einer Woche aus unserer Obhut entlassen können.«
»Aber das sind ja fantastische Neuigkeiten«, sagte Oskar mit einem grenzenlosen Gefühl der Erleichterung. »Dann hat Eliza von ihrem Sturz also keine bleibenden Schäden davongetragen?«
»Physischer Natur â nein«, sagte WeiÃhaupt. »Die Platzwunde ist sauber verheilt und wird vermutlich nur eine kleine Narbe zurücklassen. Das Handgelenk haben wir geschient und verbunden, doch da es sich nur um einen Haarriss handelte und Frau Molina ja noch jung ist, dürfte auch diese Verletzung sehr schnell verheilen. Nein, was mir Sorgen macht, ist ihr geistiger Zustand.«
»Inwiefern?«, fragte Humboldt.
»Nun, wie es aussieht, hat der Sturz eine schwere Amnesie ausgelöst. Eine Gedächtnisstörung, die sowohl zeitliche als auch inhaltliche Erinnerungen betrifft. Die Unterhaltung mit ihr fiel mir sehr schwer, weil Frau Molina in einer Sprache spricht, die mir nur in Bruchstücken verständlich war. Hin und wieder hatte ich den Eindruck, sie würde französisch sprechen, dann aber schien es mir, als würde sie in einen lokalen Dialekt zurückfallen, den ich in dieser
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