Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
eingeschlossen.« Er richtete seinen Arm auf einen der Anwesenden. »Bitte tritt vor, Bruder Ismael.«
Der Angesprochene verlieà den Kreis und trat auf das heilige Symbol. Er war sichtlich geehrt von den Worten seines obersten Ordensbruders.
»Hochverehrter GroÃmeister, werte Mitbrüder«, sagte er hinter seiner Maske. »Auch ich habe die Zeitung gelesen und auch ich war zunächst verblüfft und erschrocken. Ein Mann, der von sich behauptet, die Zeit bereisen zu können? Wie sollte das möglich sein? Welche Folgen könnte eine solche Erfindung haben und wäre sie nicht eine Gefahr für die gesamte Menschheit? Ich konnte in dieser Nacht keinen Schlaf finden und wälzte Stunde um Stunde Werke und Abhandlungen, die sich mit dem Wesen der Zeit beschäftigen. Am interessantesten war dabei die Niederschrift eines Vortrags von Professor James Wescott, der vor einem Jahr am Londoner Kingâs College gehalten wurde und in dem es um die Verschränkung von Raum und Zeit ging. Hier fand ich alle Antworten zu den Fragen, die mir die ganze Zeit im Kopf herumgingen.«
»Und was waren das für Antworten?«, fragte der Meister.
»Die Feststellung, die Professor Wescott in seiner Darlegung traf, war ebenso einfach wie klar. Es gibt keine Zeitreisen. Weder heute noch in der Zukunft. Es kann sie nicht geben und daher ist es müÃig, darüber zu spekulieren.«
»Interessant«, sagte der Meister. »Wie kommt der Professor zu diesem Schluss?«
»Durch einfache Deduktion. Wären Zeitreisen durchführbar, würden wir die Konsequenzen dieser Forschung bereits heute spüren.«
»Das verstehe ich nicht â¦Â«
»Nun, der Professor kommt zu der Erkenntnis, dass etwas, nur weil es rechnerisch auf dem Papier darstellbar ist, noch lange nicht in Wirklichkeit funktionieren muss.
Ein Gedankenexperiment: Stellt euch vor, eines Tages würde tatsächlich eine Zeitmaschine erfunden. Was hielte den Erfinder davon ab, seine Apparatur zu nutzen, sie selbst auszuprobieren oder gar auf den Markt zu bringen? Denkt nur an das Automobil. Noch vor wenigen Jahren hätte niemand geglaubt, dass diese neue Technologie funktioniert, nun werden überall neue Fabriken errichtet. In wenigen Jahren schon werden Motorwagen die StraÃen bevölkern und die Pferdegespanne werden aussterben. So ist es mit jeder Technologie. Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Wenn also heute, morgen oder in ferner Zukunft eine Maschine mit diesen Fähigkeiten erfunden würde, dann wäre es doch sehr wahrscheinlich, dass sie auch zum Einsatz gebracht würde. Und nicht nur von einer Person, nein, von vielen. Von Hunderten oder gar Tausenden. Stellt euch vor, welche Verlockung es wäre, in die Vergangenheit zu reisen und nachzuprüfen, ob die Geschichtsschreibung recht gehabt hätte. Was wäre reizvoller, als die groÃen Momente der Geschichte noch einmal hautnah mitzuerleben? Die Kreuzigung Christi, die Ermordung Julius Cäsars oder der Brand Roms? Und wenn Zeitreisen tatsächlich so leicht und unproblematisch wären, bestünde dann nicht die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand sich zufällig oder bewusst auch einmal in unsere Zeit verirren müsste?«
»Das wäre in der Tat sehr wahrscheinlich«, sagte der Meister.
»Eben.« Bruder Ismael nickte. »Und hier liegt das Problem. Eine Zeitmaschine wäre vermutlich recht groÃ, lieÃe sich also nicht so einfach verbergen. AuÃerdem würde der Zeitreisende, der ja aus einem anderen Jahrhundert oder gar Jahrtausend käme, durch seine Kleidung und sein seltsames Benehmen auffallen. Darüber hinaus wäre er kaum mit unseren Sitten und Gebräuchen vertraut. Er wäre ein Fremder. Ein Fremder in einer fremden Welt. Und doch gibt es in der Geschichtsschreibung nirgendwo einen Hinweis darauf, dass jemals ein solcher Reisender gesichtet worden wäre. Weder in unserer Zeit noch in den zurückliegenden Jahrhunderten. Nirgendwo existiert die Beschreibung einer seltsamen Apparatur, einer Zeitmaschine oder eines Zeitreisenden. Weder in alten Texten wie der Edda, dem Alten Testament oder dem Gilgamesch-Epos. Nicht in den Schriften von Homer, Platon oder den Ãberlieferungen der Ãgypter, Griechen oder Kelten. Nirgendwo. Und was sagt uns das?« Er lieà seinen Blick durch die Halle schweifen. »Es gibt keine Zeitreisenden, weil es keine Zeitreisen gibt. Es mag sein,
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