Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
dass verschiedene Menschen daran forschen, doch sie werden alle scheitern. Solche Reisen sind nicht durchführbar und werden es auch niemals sein. Es ist ein Naturgesetz. Die Zeit ist nicht manipulierbar, folglich wird es niemals möglich sein, sie zu bereisen. Dieser Forscher kann demzufolge nur ein Scharlatan sein. Wir sollten ihm keine Beachtung schenken. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.« Er senkte den Kopf und trat wieder rückwärts in den Kreis seiner Mitverschwörer.
Die Brüder schwiegen. Alle dachten über das nach, was sie soeben gehört hatten. Der Hocherleuchtete Meister war der Erste, der das Wort ergriff.
»Ihr habt die Worte Bruder Ismaels gehört. Ich wüsste gerne, wie ihr dazu steht. Wer möchte etwas sagen?«
Ein Mann hob die Hand.
»Ja, Bruder Nathaniel?«
»Ich schlieÃe mich der Meinung Bruder Ismaels an. Wir sollten der Geschichte nicht zu viel Bedeutung beimessen. Andererseits sollten wir nicht unvorsichtig werden. Der Mann, der von sich behauptet, er könne die Grenzen der Zeit überwinden, ist ja kein Unbekannter. Es ist der uneheliche Sohn eines der gröÃten aller deutschen Naturforscher und ehemaligen Mitglieds dieser Loge: Alexander von Humboldt.«
Anerkennendes Gemurmel war zu hören.
»Aber dieser angebliche Sohn ist doch nichts weiter als ein Hochstapler«, meldete sich ein anderes Logenmitglied. »Soweit mir bekannt ist, konnte sein Anspruch niemals bewiesen werden.«
»Mag sein«, erwiderte Nathaniel. »Dennoch geht die öffentliche Meinung dahin, ihn als rechtmäÃigen Nachkommen anzuerkennen. Und seine Reputation gibt ihm recht. Er hat eine Reihe höchst bemerkenswerter Erfolge vorzuweisen und genieÃt weltweit das Vertrauen hochrangiger Männer. Bruder Georg, sagtest du nicht, dass du Erkundigungen über ihn eingezogen hast?«
»In der Tat«, erwiderte der Angesprochene. »Meine Akten erlauben ein lückenloses Bild dieses Mannes und alle seine Reisen konnten hieb- und stichfest nachgeprüft werden. Natürlich streitet er ab, dass eine Zeitreise zum jetzigen Zeitpunkt machbar wäre. Aber alleine seine Forschungen sollten wir ernst nehmen.«
»Törichtes Geschwätz«, schnaubte Bruder Ismael. »Hier werden Ãpfel mit Birnen verglichen. Ein paar Eingeborene zur Räson bringen ist eine Sache, das hier â¦Â«, er wedelte mit der Hand, »â¦Â ist etwas völlig anderes. Zeitreisen werden niemals möglich sein, basta.«
»So wie der Traum des Menschen vom Fliegen?«, fragte Bruder Georg mir schief gehaltenem Kopf. »Ich erinnere mich daran, dass man auch an Otto Lilienthal gezweifelt hat, bis er â¦Â«
»Lass Lilienthal aus dem Spiel«, sagte Ismael. »Er hat mit der Sache nun wirklich nichts zu tun.«
»Liebe Brüder.« Der GroÃmeister hob die Hände. »MäÃigt eure Stimmen. Vergesst nicht, wo ihr hier seid. Der Tempel duldet keine Ausfälligkeiten. Wir haben uns hier versammelt, um in Ruhe und Frieden über die Angelegenheit zu debattieren. Wir haben beide Meinungen gehört, nun möchte ich wissen, wie wir weiter vorgehen sollen. Drei Möglichkeiten stehen zur Auswahl: Erstens, wir ignorieren den Zeitungsartikel und schenken der Angelegenheit keine Beachtung. Ist jemand dafür, dass wir so verfahren?«
Nur Bruder Ismaels Hand wanderte in die Höhe.
»Die zweite Alternative wäre, wir sehen in Carl Friedrich von Humboldt eine potenzielle Gefahr und räumen ihn sofort und ohne Umschweife aus dem Weg. Ich bitte um Handzeichen, wer das möchte.«
Niemand meldete sich.
»Oder drittens: Wir werden den Mann beobachten, seine Fortschritte dokumentieren und gegebenenfalls MaÃnahmen ergreifen. Sollte sich herausstellen, dass Bruder Georgs Sorgen berechtigt sind, werden wir uns wieder hier treffen und über ein weiteres Vorgehen beraten. Ich bitte um Abstimmung.«
Sechs Hände schossen hoch.
»Schön. Dann betrachte ich den Beschluss als einstimmig. Die Sitzung ist damit beendet. Wir sehen uns nächsten Freitag zur allwöchentlichen Tempelarbeit.«
10
Freitag, 11.  Juni 1895 â¦
I m Haus des Forschers ging seit dem Besuch im Schloss alles wieder seinen gewohnten Gang. Der allmorgendliche Unterricht, die Hausarbeit, die Freizeit. Nichts deutete auf den Sturm hin, der drauÃen in der Welt tobte. Der Tod des Kaisers hatte einen politischen
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