Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
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D ie Brüder standen im Kreis um das magische Bodensymbol, die Köpfe gesenkt, die Gesichter hinter Masken verborgen. Jeder von ihnen trug einen dunklen Anzug. Dunkle Hosen, dunkle Schuhe, dunkler Rock. Einzig Hemd und Handschuhe waren weià sowie die Schürzen, die sie sich um den Leib gebunden hatten. Das Licht war gedämpft, die AuÃenwelt von dicken Mauern ausgesperrt. In der Luft schwebte der Geruch verglimmender Gewürze.
Die Freimaurerloge Flamme und Stein befand sich im Zentrum von Berlin, unweit des Reichstagsgebäudes. Der Eingang war gut verborgen, man fand ihn nur, wenn man gezielt danach suchte. Ein ausgeklügeltes System von SchlieÃmechanismen, verbunden mit einer optischen Täuschung und einem speziellen Ãffnungsgetriebe, sorgte dafür, dass die Mitglieder des Geheimbundes ungestört ihren Aktivitäten nachgehen konnten. Hier durfte nur hinein, wer wirklich dazugehörte.
Nicht das kleinste Geräusch störte die andächtige Stille. Niemand würde es wagen, die Versammlung zu unterbrechen, es sei denn, er wollte riskieren, den Zorn der mächtigsten und einflussreichsten Männer Berlins auf sich zu ziehen.
Dies war nicht irgendeine Freimaurerloge. Obwohl der breiten Ãffentlichkeit kaum bekannt, war sie gleichsam die älteste und bedeutendste Loge Deutschlands. Sie genoss den Ruf, nur die allererlauchtesten Häupter aufzunehmen. Friedrich der GroÃe war hier Mitglied gewesen, Johann Wolfgang von Goethe und Gotthold Ephraim Lessing. Prinz August von PreuÃen, die Könige Friedrich Wilhelm der Dritte, Wilhelm der Erste sowie dessen Sohn Friedrich der Dritte. Künstler, Staatsmänner, Militärs. Wer hier dazugehören wollte, musste entweder über viel Geld oder gute Beziehungen verfügen. In den meisten Fällen beides.
Die Logenbrüder standen sich im Schein des siebenarmigen Leuchters gegenüber und berieten sich leise über die Neuigkeit. Ihre Gesichter waren unter den Masken nicht zu erkennen, doch wusste jeder, mit wem er sprach. Unter dem allsehenden Auge des groÃen Baumeisters und seiner Symbole, dem Zirkel, dem Dreieck und dem WinkelmaÃ, gab es keine Geheimnisse. Hier wurde alles Licht. Lügen waren verboten. Wer dabei ertappt wurde, die Unwahrheit zu sagen, musste mit einem Ausschluss aus der Loge rechnen. Im schlimmsten Fall mit der Offenlegung aller seiner Ãmter und Finanzen. So war das Gesetz der Loge.
Der Hocherleuchtete Meister hob die Hand. »Gepriesen sei der allsehende Baumeister.«
»Gepriesen sei der allsehende Baumeister«, wiederholten die Brüder die BegrüÃungsformel.
»In seinem Licht will ich mein Leben führen in eigener Verantwortung, aus eigener Bestimmung und mit innerer Wahrhaftigkeit.«
Sie wiederholten die Worte.
»So sei es.« Der Meister verschränkte die Arme und neigte den Kopf. »Meine Brüder, ich grüÃe euch. Das Thema unserer heutigen Sitzung lautet Zeit. Was ist Zeit? Woher kommt sie, was bewirkt sie? Wird der Mensch eines Tages in der Lage sein, sie zu beherrschen?« Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken. »Wir alle haben die Nachricht in der Zeitung gelesen. In unserer Stadt befindet sich ein Mann, der angeblich die Absicht hat, den fortlaufenden Strom der Zeit wie ein Gewässer zu durchkreuzen und sowohl stromabwärts als auch -aufwärts zu fahren.
Unser Jahrhundert neigt sich dem Ende zu und es wurden bereits viele wundersame und beeindruckende Erfindungen gemacht. Manche davon so abenteuerlich, dass wir Schwierigkeiten haben, sie uns leibhaftig vorzustellen. Kutschen, die ohne Pferde auskommen, Schiffe, die von Maschinenkraft betrieben werden, elektrischer Strom. Wir befinden uns in einem Zeitalter des Umbruchs und haben Mühe, mit den rasanten Entwicklungen Schritt zu halten. Nicht alle Erfindungen sind zum Wohle der Menschheit, manche davon könnten sich irgendwann gegen ihren Schöpfer kehren. Die Frage, die ich heute stellen möchte, lautet: Ist es wünschenswert, die Zeit zu bereisen? Ist es überhaupt machbar, und wenn ja, welche Konsequenzen wären damit behaftet? Könnte diese Erfindung gar unsere eigenen Pläne gefährden?
Um dieses Thema zu vertiefen, habe ich Bruder Ismael gebeten, uns einen genaueren Einblick in das Mysterium der Zeit zu gewähren. Er ist ein Mann, der in den Naturwissenschaften bewanderter ist als jeder andere in diesem Saal, mich selbst
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