Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
Erdrutsch in Deutschland ausgelöst, aber die Neuigkeiten drangen nur tröpfchenweise zu ihnen durch. Nachrichtensperren hinderten die Zeitungen daran, alles zu berichten, was drauÃen auf den StraÃen geschah, aber was sie hörten, machte wenig Hoffnung. Von Streiks war die Rede, von Demonstrationen und Plünderungen. Es hieÃ, es wäre eine Militärregierung gebildet worden, die den Unruhen Einhalt gebot und die aufgebrachten Arbeiter mit Gewalt zurück in die Fabriken zwang. Aber in die Villa des Forschers in Plötzensee drang nichts davon. Es hätten schöne ruhige Sommertage sein können, wäre da nicht die quälende Neugier gewesen.
Sobald die Hausarbeit erledigt war, gingen Oskar und Charlotte hinaus an den See und verbrachten die lauen Juniabende mit Reden und Angeln. Hin und wieder biss sogar mal ein Fisch an und verschaffte ihnen so eine willkommene Abwechslung zu dem ewig trockenen Pökelfleisch, das nun so oft auf den Tisch kam.
Humboldt lieà sich nur selten blicken. Unentwegt pendelte er zwischen Pfefferkorn, Laboratorium und Werkstatt hin und her und gab sich, wenn man ihn denn mal traf, sehr einsilbig. Die Geheimniskrämerei zerrte an Oskars Nerven. Seine Hoffnung auf einen Besuch in der geheimnisumwitterten Werkstatt im Wald hatte sich nicht erfüllt. Es war noch immer ein groÃes Mysterium, was Humboldt dort tat, und solange er nicht freiwillig mit der Sprache rausrückte, hieà es warten.
Oskar nahm einen Mehlwurm aus der Dose und spieÃte ihn auf den Haken. Dann warf er die Leine aus und steckte die Angel in die dafür vorgesehene Halterung am grasigen Ufer. Lachsfarbene Wolken zogen über den Himmel und ein Schwarm Tauben strebte dem abendlichen Schlafplatz entgegen. Ein sanfter Wind wehte aus Westen und lieà die Bäume rauschen.
Er legte sich ins Gras und verschränkte die Arme hinter den Kopf. »Ich hätte wirklich gedacht, nach dem Besuch bei Pfefferkorn würde er uns endlich die groÃe Maschine zeigen, die er im Wald gebaut hat. Aber er ist noch verschlossener geworden.«
»Ich glaube, die Situation drauÃen macht ihm zu schaffen«, sagte Charlotte und tastete nach seiner Hand. »Im Gegensatz zu uns ist er fast täglich in der Stadt. Von Dutzenden Toten ist die Rede und die Versorgungslage ist schlimmer denn je. Seit dieser Sache mit Stangelmeier ist er misstrauisch geworden. Hab noch ein bisschen Geduld, er wird uns schon irgendwann einweihen.«
»Ich hasse diese Warterei«, sagte Oskar. »Darin war ich noch nie gut. Pech für dich, denn jetzt muss ich mir anderweitig die Zeit vertreiben.« Er grinste und wollte sie zu sich herüberziehen, doch Charlotte rollte sich lachend zur Seite.
»Du solltest besser nach den Fischen schauen, sonst ist die Angel nämlich weg. So wie neulich, als du hinterherschwimmen musstest.«
»Musst du mich daran erinnern?« Oskar robbte hinter ihr her, doch Charlotte war zu flink für ihn. Ein sanfter Stoà gegen seine Schulter lieà ihn ein Stück die Böschung hinunterkugeln. Im Nu rappelte er sich wieder auf und setzte ihr nach. Es gelang ihm, ihren Fuà zu packen und sie festzuhalten, und sie versuchte, sich kichernd und zappelnd zu wehren. Doch der Widerstand war nur halbherzig. Im Nu hatte er sie gepackt und beugte sich über sie. Ihre Wangen waren gerötet.
»Untersteh dich«, flüsterte sie. »Ich verwandele dich in eine Kröte.«
»Versuchâs doch«, sagte er. »Wenn ich eine Kröte bin, werde ich nachts in dein Bett gehopst kommen. Wirst schon sehen, was du davon hast.«
Er senkte sein Gesicht zu ihr hinunter, als plötzlich ein Rascheln im Unterholz ertönte. Maus kam keuchend aus den Büschen gestürmt, völlig auÃer Atem, sein Gesicht glänzend vor SchweiÃ. Verdutzt blieb er stehen und starrte sie an.
»Stör ick?«
Charlotte richtete sich auf und strich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Keineswegs.«
Ein breites Grinsen erschien auf Mausâ Gesicht. »Ihr sollt zum Haus kommen«, sagte er. »Humboldt will euch was sagen.«
Oskar warf Charlotte einen bedeutungsvollen Blick zu.
»Ist irgendwas passiert?«
»Nee, in Jejenteil. Es isâ was anjeliefert worden. âne ziemlich jroÃe Kiste. Herr Humboldt hat auf den Absender jekiekt und dann jesagt, ick soll euch holen.«
»Jetzt sofort?«
»Jawoll.«
»Na gut.« Oskar
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