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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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glaubte jedoch, dass der Stumpf etwas länger geworden war. Ihm wurde bewusst, dass er erwartete, dem Zeitreisenden würde ein neues Bein wachsen – was offensichtlich tatsächlich der Fall war.
    »Guten Morgen«, grüßte Archer. Catherine stand neben ihm, nickte mit dem Kopf und machte noch immer einen etwas ängstlichen Eindruck.
    Ben drehte sich um. »Guten Morgen. Vielen Dank für Ihren Besuch.«
    Archer räusperte sich. »Wir müssen ernsthaft miteinander sprechen. Uns beiden macht es nichts aus hierherzukommen. Aber, Ben, es ist irgendwie verwirrend. Solange wir nicht wissen, was hier wirklich vorgeht ...«
    Ben hatte auf Anhieb dafür Verständnis und beschrieb mit der Hand eine Geste. Archer brauche nicht fortzufahren. »Ich begreife sehr wohl«, sagte er. »Ich beantworte all Ihre Fragen. Und dann, wenn Sie nichts dagegen haben, stelle ich Ihnen eine Frage.«
    Archer nickte. Das klang fair. Catherine holte zwei Stühle aus der Küche, da sie annahm, dass ihr Gespräch wohl etwas länger dauern würde.
    »Wer sind Sie wirklich«, fragte Archer, »und was tun Sie hier?«
    Ben Collier überlegte, wie er darauf antworten sollte.
    Sich diesen Menschen anzuvertrauen, wäre ein ziemlich radikaler Schritt ... aber nicht unbedingt einmalig und unter den gegebenen Umständen eigentlich unvermeidbar. Er war bereit, ihnen zu vertrauen. Dieses Urteil war nur zum Teil intuitiv. Er hatte sie mit seinen eigenen Augen beobachtet und auch mithilfe der kritischeren Augen seiner kybernetischen Helfer. Sie schienen nicht zu lügen und nicht zu versuchen, ihn zu manipulieren.
    Vor allem Archer schien eifrig bemüht zu sein, ihm zu helfen. Sie mussten sich mit ihrer beängstigenden Erfahrung auseinandergesetzt haben, und das rechnete Ben ihnen hoch an.
    Aber sie würden Mut auch dringend benötigen. Und ob sie den auch in ausreichendem Maß aufbrachten, das war schon schwieriger zu beurteilen.
    Er wollte ihre Fragen so ehrlich und gründlich wie möglich beantworten. Das war er ihnen schuldig, gleichgültig, was als Nächstes passierte. Catherine hätte seine Situation weitaus schwieriger machen können, als sie ihn im Schuppen im Wald entdeckt hatte – wenn sie zum Beispiel die Polizei alarmiert hätte. Dadurch, dass sie das unterlassen hatte, war seine Wiederherstellung bedeutend schneller erfolgt. Es wäre daher sinnlos und sehr unfreundlich, wenn er ihnen Lügen über sich selbst erzählte.
    Er war, so erklärte er, im Jahr 2157 in einer kleinen Stadt nicht weit vom derzeitigen Städtchen Boulder, Colorado, entfernt geboren worden. Dort hatte er den größten Teil seines Berufslebens verbracht und für eine historische Stiftung wissenschaftlich gearbeitet.
    All das machte eine Definition der Begriffe »Städtchen«, »Berufsleben« und »historische Stiftung« notwendig, wenn man bedachte, wie Archer und Catherine diese Worte verstanden – aber sie kamen der Wahrheit doch sehr nahe.
    Catherine nickte. »So wurden Sie also Zeitreisender?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich wurde rekrutiert und dazu verpflichtet. Catherine, wenn Sie das einundzwanzigste Jahrhundert besuchten, würden Sie dort sehr viele wunderbare Dinge finden, aber die Zeitreise ist nicht dabei. Jeder halbwegs ernsthafte Physiker meiner eigenen Epoche hätte diese Idee von vornherein als unsinnig verworfen. Nicht den Gedanken, dass die Zeit grundsätzlich unveränderbar und vielleicht nicht linear ist, sondern die Vorstellung, dass menschliche Wesen sich in ihr bewegen können. Das Wasser im Ozean ist wie das Wasser in einem Swimmingpool, aber man kann nicht hinüberschwimmen. Ich wurde von Wesen aus meiner eigenen Zukunft ausgesucht, die wiederum von anderen aus ihrer Zukunft rekrutiert worden waren, und so weiter.«
    »Ähnlich wie Trittsteine in einem Fluss«, sagte Archer.
    »Genauso.«
    »Aber wozu wurden Sie ausgewählt?«
    »Vorwiegend als Hausmeister. Um in diesem Haus zu wohnen. Um es zu warten und zu schützen.«
    »Weshalb?«, fragte Catherine, aber er vermutete, dass sie die Antwort längst wusste.
    »Weil dieses Haus eine Art Zeitmaschine ist.«
    »Demnach sind Sie gar kein richtiger Zeitreisender«, stellte Archer fest. »Ich meine, Sie kommen aus der Zukunft ... aber Sie sind nur eine Art Angestellter.«
    »Ich denke, diese Beschreibung passt sehr gut.«
    »Die Maschine in diesem Haus funktioniert nicht so, wie sie sollte – habe ich recht?«
    Er nickte.
    »Aber wenn sie es täte, und Sie wären der Wächter, wer könnte dann hierherkommen?

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